Bauern protestieren mit ihren Traktoren In Frankfurt am Main.

Desinformation aus Moskau Wie Russland die Bauernproteste für sich nutzen will

Stand: 11.01.2024 16:35 Uhr

In prorussischen Kanälen werden die Bauernproteste mit westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine in Verbindung gebracht. Ein bekanntes Muster, das immer wieder vom Kreml hervorgeholt wird.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Nicht nur Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen versuchen, die Bauernproteste für die eigenen Ziele zu vereinnahmen: Auch Russland sieht in den Protesten der Landwirte eine Möglichkeit, ein eigenes Narrativ zu stricken. So schrieb der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew im Kurzmitteilungsdienst X: "Die Subventionen wurden gestoppt und die astronomischen Ausgaben für die Ukraine steigen weiter." Wenn das so weitergehe, könnten die ukrainischen Nationalisten bald die bei ihnen so beliebten Proteste (Maidan) nach Berlin exportieren. Russland werde mit "hämischem Interesse" das Geschehen verfolgen.

Auch auf prorussischen Nachrichtenseiten und Kanälen werden die aktuellen Bauernproteste mit dem Krieg in der Ukraine in Verbindung gebracht. Sowohl in deutschsprachigen, als auch in englischen und russischen Telegramkanälen wird beispielsweise eine Grafik verbreitet, in der die Kosten für westliche Waffen wie dem "Leopard"-Panzer oder "Marder" mit Bauernhöfen gegengerechnet werden. Dazu heißt es: "Der Ukraine 'Leopard' schicken oder Tausende von Bauernhöfen retten?". Die "unabhängige Ukraine" werde "weiterhin auf Kosten der Bürger" in Deutschland reich.

"Russland will Proteste instrumentalisieren"

"Russland versucht immer wieder, die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine infrage zu stellen", sagt Julia Smirnova, Senior Researcher am Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD). Dabei nutze der Kreml aktuelle Proteste, um diese zu bestärken und für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. In der Vergangenheit hatte Russland beispielsweise die Energiekrise oder auch die hohe Zahl geflüchteter Ukrainer als Anknüpfpunkte gewählt, um die Unterstützung der Ukraine in Teilen der deutschen Bevölkerung zu unterminieren.

"Es läuft jedes Mal nach einem ähnlichen Muster ab", sagt Smirnova. Ausgaben für Waffenlieferungen oder ukrainische Geflüchtete würden als sinnlos dargestellt und mit anderen Krisen wie zum Beispiel den steigenden Energiepreisen in Verbindung gebracht. Dass die Kosten ohne den russischen Angriffskrieg gar nicht erst entstanden wären, werde dabei nicht erwähnt.

An das eigene Publikum gerichtet nutzten die russischen Medien die Bauernproteste zudem, um die Situation in Deutschland als dramatisch dastehen zu lassen, sagt Smirnova. "Die Proteste wurden vom Staatsfernsehen aufgegriffen, um noch einmal das Narrativ zu untermauern, dass die wirtschaftliche Lage in Deutschland nicht gut aussehe, dass die Menschen unzufrieden seien." Die Probleme im Westen würden übertrieben, um die eigene Legende von der Überlegenheit zu untermauern. "Dadurch soll auch die eigene Öffentlichkeit überzeugt werden, dass es Russland verhältnismäßig gut geht."

Bund muss viele Milliarden einsparen

Die geplanten und zum Teil inzwischen zurückgenommenen Kürzungen von "klimaschädlichen Subventionen" in der Landwirtschaft sind eine Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023, aufgrund dessen die Bundesregierung beim Bundeshaushalt für das Jahr 2024 mehr als 30 Milliarden Euro einsparen musste.

Durch die Abschaffung der Begünstigung in der Kraftfahrzeugsteuer für Forst- und Landwirtschaft sowie der Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel rechnete die Bundesregierung insgesamt mit Mehreinnahmen von knapp einer Milliarde Euro. Ersteres wurde inzwischen wieder zurückgenommen, so dass die Ersparnisse für die Regierung noch rund die Hälfte betragen. Insgesamt plant der Bund dem ersten Entwurf zufolge für das Jahr 2024 mit Ausgaben von mehr als 400 Milliarden Euro.

Bei der Bekanntgabe der Maßnahmen, um das Haushaltsloch zu stopfen, gab Bundeskanzler Olaf Scholz bekannt, die Hilfen für die Ukraine nicht zu verändern. Dazu zählen acht Milliarden Euro für Waffenlieferungen, Finanzhilfen für den ukrainischen Haushalt direkt oder über die Europäische Union und voraussichtlich mehr als sechs Milliarden Euro, um ukrainischen Flüchtlingen in Deutschland zu helfen.

"Die Ukrainerinnen und Ukrainer müssen auch längerfristig in die Lage versetzt werden, sich der Aggression des russischen Präsidenten Putin entgegenzustellen", heißt es dazu in einer Pressemitteilung der Bundesregierung. "Das ist eine unverzichtbare, klare Botschaft an den russischen Präsidenten, der offensichtlich darauf setzt, dass die internationale Unterstützung der Ukraine nachlässt."

Falsche Bilder von zerstörten Kampfjets

Nicht nur die Bauernproteste werden von der russischen Seite als Anlass genommen, um die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine zu diskreditieren. Mit Blick auf die geplanten Lieferungen von F-16-Kampfjets sind in den vergangenen Wochen mehrere Falschmeldungen verbreitet worden.

So hieß es in einige prorussischen Kanälen bei Telegram unter anderem, Russland habe mehrere F-16-Kampfjets abgeschossen. Bilder, die das angeblich beweisen sollten, zeigten jedoch entweder keine zerstörten F-16-Kampfjets oder sind bereits vor Jahren in einem anderen Zusammenhang aufgenommen worden. Hinzu kommt, dass auf dem Gebiet der Ukraine bislang zumindest offiziellen Angaben zufolge noch gar keine F-16-Kampfjets im Einsatz sind.

Die ersten gelieferten Kampfjets aus den Niederlanden waren nach Medienberichten bisher lediglich in Rumänien zu Trainingszwecken im Einsatz, die Lieferung aus Dänemark verzögert sich.

Einsatz als aussichtslos dargestellt

Über die angekündigten Lieferungen der Kampfjets heißt es in einigen Kanälen zudem, dass die russischen Streitkräfte ohnehin schon eine "Antwort auf US-amerikanische Jagdflugzeuge des Typs F-16 in der Ukraine" gefunden hätten. Auch werden Ausschnitte westlicher Medienberichte zitiert, in denen der Erfolg der Kampfjets bereits vor ihrem Einsatz als aussichtslos dargestellt wird.

"Die Beispiele reihen sich ein in das übergreifende Narrativ, dass die westlichen Waffenlieferungen nutzlos seien oder von der Ukraine auf dem Schwarzmarkt verkauft würden", sagt Smirnova. Besonders im Zusammenhang mit angeblich zerstörten westlichen Panzern gab es bereits einige Falschmeldungen. So zeigte ein Video eines angeblich zerstörten "Leopard"-Panzers in Wahrheit ein Landwirtschaftsgerät.

"Das Ziel ist es, die Öffentlichkeit im Westen davon zu überzeugen, dass die Ukraine ein schwarzes Loch für westliches Geld sei, auch für westliche Waffen. Dass es sich nicht lohnt, die Ukraine militärisch weiter zu unterstützen", sagt Smirnova.