Karlsruhe stoppt EFSF-Sondergremium Neun Abgeordnete sind nicht genug

Stand: 28.02.2012 14:03 Uhr

Entscheidungen über die Euro-Rettung dürfen nicht von einem geheim tagenden, neunköpfigen Bundestagsgremium getroffen werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Richter erklärten eine Verfahrensregel für die deutsche Beteiligung an Maßnahmen des Euro-Rettungsschirms EFSF für überwiegend unwirksam.

Dringende Euro-Hilfsmaßnahmen dürfen nicht von einem geheim tagenden Gremium aus nur neun Bundestagsabgeordneten beschlossen werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Richter erklärten damit eine Verfahrensregel für die deutsche Beteiligung an Maßnahmen des Euro-Rettungsschirms EFSF für überwiegend unwirksam und bestätigten eine von ihnen im Oktober erlassene einstweilige Anordnung gegen die Regelung.

Richter sehen Repräsentationspflicht des Bundestags verletzt

Der neunköpfige Ausschuss verstoße überwiegend gegen die Rechte der Bundestagsabgeordneten, hieß es in dem Urteil. Die Verfassungshüter begründeten ihr Urteil mit der "haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestags". Dieser erfülle seine Repräsentationspflichten grundsätzlich durch alle seine Mitglieder und nicht durch einzelne Abgeordnete.

Abgeordnete könnten von dieser Verantwortung zwar zum Schutz anderer wichtiger Belange ausgeschlossen und deren Aufgaben auf Gremien übertragen werden. Diese Ausschüsse müssten aber immer ein "verkleinertes Abbild" des Bundestags sein und dessen politische Gewichtung widerspiegeln. Solche Ausnahmen müssten durch einen Grund von erheblichem Gewicht gerechtfertigt werden.

Demokratische Spielregeln müssen beachtet werden

Der Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, unterstrich, die Funktionsfähigkeit des Bundestags sei "kein Selbstzweck". Sie bleibe bezogen auf das Ziel, möglichst viel parlamentarische Legitimation zu ermöglichen. Funktionserwägungen dürften deshalb nicht dazu führen, "verfassungsrechtlich verbürgte demokratische Spielregeln außer acht zu lassen, wo dies nicht zwingend erforderlich erscheint". Anderenfalls würde der Funktionsfähigkeit des Parlamentes insgesamt Schaden zugefügt.

Nur wenn das Gremium Entscheidungen zum Ankauf von Staatsanleihen durch den EFSF an den Börsen treffe, sei es mit der Verfassung vereinbar. Bei solchen Maßnahmen sei es aus Gründen der Vertraulichkeit gerechtfertigt, wenn nicht der gesamte Bundestag, sondern nur ein kleines Gremium entscheide. Andernfalls könnten Informationen durchsickern, die Spekulanten ausnutzen würden. Die Koalition kündigte an, das Gesetz zur Bundestagsbeteiligung nun zügig anzupassen.

Das Sondergremium sollte vertrauliche oder eilige Entscheidungen über Finanzhilfen für notleidende Euro-Staaten treffen. Die neun Abgeordneten werden durch das Bundestagsplenum gewählt.

SPD sieht sich bestätigt

Gegen das Verfahren hatten die SPD-Abgeordneten Peter Danckert und Swen Schulz geklagt. Ihrer Ansicht nach stellen neun Abgeordnete "keine ausreichende Abbildung des Bundestags" dar. Schulz zeigte sich nach der Urteilsverkündung sehr zufrieden. Das Bundesverfassungsgericht habe dem Antrag zum größten Teil entsprochen. "Gewonnen haben aber nicht wir als einzelne Abgeordnete, sondern gewonnen hat letztlich der Parlamentarismus und die Demokratie."

Die SPD im Bundestag begrüßte die Entscheidung. Der parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann sagte, das Urteil stärke die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages und reduziere die Zuständigkeit des Gremiums auf das absolut notwendige Minimum. "Das war die Forderung der SPD im Gesetzgebungsverfahren. Dadurch werden die Eurorettungsmaßnahmen transparenter und für die Menschen nachvollziehbarer."

Laut SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider haben Union und FDP seinerzeit rechtliche Bedenken beiseite gewischt. Nun stehe die Koalition "vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik".

Nun soll nachgebessert werden

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nannte die Argumente plausibel und sprach von einem begrenzten Korrekturbedarf. Die Karlsruher Richter hätten nicht das ganze Verfahren verworfen. Das von einer breiten Mehrheit des Bundestages getragene Gesetz müsse nun "nachjustiert" werden. Die FDP sah die Koalition grundsätzlich bestätigt. Der FDP-Haushaltsexperte Otto Fricke erklärte, er begrüße, "dass das Bundesverfassungsgericht dieses Entscheidungsgremium nun als grundsätzlich verfassungskonform anerkannt hat".

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin betonte, der "Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung über das notwendige Maß hinaus wird ein Riegel vorgeschoben". Wolfgang Neskovic von den Linken sieht in dem Urteil einen deutlichen Weckruf an den Bundestag, "sich endlich aus der selbstverschuldeten parlamentarischen Unmündigkeit zu befreien".

Deutschland garantiert mit bis zu 211 Milliarden Euro für den EFSF, der Euro-Ländern mit bis zu 440 Milliarden Euro beispringen kann. Unter anderem kann er gegen strenge Auflagen Rettungskredite vergeben, bei der Bankenrekapitalisierung helfen oder durch den Kauf von Staatsanleihen deren Kurse an den Börsen stabilisieren. Der EFSF stützt bereits Irland und Portugal. Auch das zweite Hilfspaket für Griechenland, das der Bundestag am Montag gebilligt hatte, soll vom EFSF finanziert werden.

(Az.: 2 BvE 8/11)