Vor dem EU-Beitritt Rumänien zwischen Armut und Aufbruch

Stand: 29.12.2006 17:57 Uhr

Für 22 Millionen Rumänen ist der bevorstehende EU-Beitritt schon eine Selbstverständlichkeit - auch wenn viele nicht wissen, was sie davon zu erwarten haben. Chancen bieten sich vor allem in den Städten für junge Menschen mit guter Ausbildung, die oft schon ihre Traumjobs gefunden haben. Für die verarmte Landbevölkerung dürfte sich zunächst nur wenig ändern.

von Eberhard Nembach, ARD-Hörfunkstudio Südosteuropa

Ärztin will die zehnjährige Vandana werden, dabei geht sie nicht einmal zur Schule. Sie ist eine Roma aus dem Karpathendorf Glod, dessen ärmliche Häuschen durch die Filmsatire "Borat“ weltberühmt wurden. "Vandanas fünf Geschwister gehen auch nicht zur Schule", erzählt ihre Mutter Mioara, "was soll ich mir schon von der EU erwarten?" Dass sie uns Geld geben, sagt sie dann, "ich lebe mit den Kindern in einem einzigen Zimmer, mein Mann geht noch ab und zu betteln".

"Wir hoffen natürlich, dass es besser wird"

Umgerechnet rund 40 Euro Sozialhilfe bekommt eine Roma-Familie, das ist auch in Rumänien nur gerade so genug zum Überleben. Vor allem auf dem Land, wo Pferdewagen noch immer zum Alltag gehören, sind die Menschen überall in Rumänien arm, daran wird auch die EU zunächst nichts ändern.

"Der Preis hängt von der Größe ab", sagt Alina Muntean, die Ferkel aus dem Kofferraum ihres alten Dacia verkauft, die kleinsten kosten 20 Euro. Die Schweinezucht ist ein Nebenverdienst, mit den 200 Euro monatlich, die ihr Mann in der Fabrik bekommt, kommen sie mit ihren zwei kleinen Kindern gerade so über die Runden. Was die Europäische Union ihr bringen wird, weiß sie nicht. Sie fühlt sich schlecht informiert, "aber wir hoffen natürlich, dass es besser wird".

Kleinbauern vor dem Aus

Im scharfen europäischen Wettbewerb werden nur große Bauernhöfe überleben, rund drei Millionen Kleinbauern werden sich auf Dauer neue Jobs suchen müssen. Die gibt es vor allem in den Städten – und vor allem für Leute mit guter Ausbildung. In Sibiu, dem ehemaligen Hermannstadt, haben sich viele deutsche Unternehmen angesiedelt. Rumänische Eltern versuchen alles, um ihren Kindern schon im Vorschulalter Deutschunterricht zu finanzieren. Abitur an der deutschen Schule, das ist praktisch eine Jobgarantie, für die Abiturienten bedeutet der EU-Beitritt vor allem neue Chance.

"Ja, ich bin zufrieden", sagt Mircea Isak. Er ist 25 Jahre alt und hat eine gute Stelle als Entwicklungsingenieur bei einem deutschen Elektronikunternehmen. Um die 1000 Euro verdienen Leute wie er, sie sind die Gewinner des rumänischen Wirtschaftswunders und des EU-Beitritts. Viele deutsche Unternehmen gehen inzwischen nach Rumänien, das Land bietet gute Chancen, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, das Wirtschaftswachstum hoch. Die Entwicklung ist rasant, und während die einen abgehängt werden und arm bleiben, werden andere sagenhaft reich. So wie Ion Tiriac, der ehemalige Manager von Boris Becker, der in seinem eigenen Glas-und-Stahl-blitzenden Bürohochaus in Bukarest Hof hält.

Tiriac: Die Deutschen waren langsamer als die Italiener

"Rumänien ist ein großer Markt mit mehr als 22 Millionen Menschen“, sagt Tiriac, der viele deutsche Großunternehmen vertritt. Großes Potenzial gebe es noch in der Landwirtschaft, sagt Tiriac, neben den Öl- und Goldreserven und der Großindustrie. Die Deutschen seien langsamer gewesen als etwa die Italiener, sagt er, "aber die deutschen Geschäftsleute verstehen schon, dass sie ihre Produkte auch nach Rumänien exportieren müssen.“ Für die deutschen Unternehmen, die in Rumänien investiert haben, ist der EU-Beitritt wichtig und notwendig, sie haben ja schon ihr Geld darauf gesetzt. Und viele Rumänen verdienen daran – sie freuen sich auf den Beitritt, der für sie längst eine Selbstverständlichkeit ist.