Interview

Griechische Proteste gegen Sparkurs "Es gibt ein enormes Potenzial im Land"

Stand: 01.03.2012 13:48 Uhr

Zwar ist es heute offiziell kein Thema beim EU-Gipfel - doch vermeiden lässt sich die Diskussion nicht, ob Griechenland noch mehr Geld bekommen muss - oder mehr Druck. Rüdiger Bolz, Leiter des Athener Goethe-Instituts, rät im Gespräch mit tagesschau.de zu mehr Geduld bei den Reformen im Land.

tagesschau.de: Wer ist von den strikten Sparmaßnahmen in Griechenland besonders hart betroffen?

Rüdiger Bolz: Besonders betroffen sind zuerst  einmal alle Menschen, die redlich Steuern zahlen - die Angestellten, Beamten, Arbeiter. Auch die Rentner bekommen den Sparkurs schmerzlich zu spüren. Und die vielen jungen Menschen, die derzeit keine Arbeit mehr finden, gehören zu den Leidtragenden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt  bei rund 40 Prozent. Das ist besonders gefährlich, weil viele junge, gut qualifizierte Menschen das Land verlassen, um ihre Existenz woanders aufzubauen.

tagesschau.de: Es gibt den Vorwurf, dass die Sparmaßnahmen nicht sozial ausgewogen seien. Stimmt der Vorwurf, werden die Reichen geschont?

Bolz: Der griechische Staat macht derzeit das, was am schnellsten durchzuführen ist: Er erhöht die Steuern und senkt die Renten und die Löhne der Angestellten. Es gibt aber in Griechenland eine breite Schicht von Selbstständigen und Unternehmern, die bisher beschämend wenig bis gar keine Steuern zahlten und das auch jetzt noch nicht tun. Das empört viele Menschen.

tagesschau.de: In der medialen Wahrnehmung protestiert derzeit ganz Griechenland gegen die Sparmaßnahmen. Ist das tatsächlich so?

Bolz: Protestiert wird gegen die soziale Unausgewogenheit der Reformen. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen durchaus ein. Die meisten wissen ganz genau, dass der Staatsapparat aufgebläht ist. Derzeit hat jedes Ministerium mindestens zehn Generaldirektionen, über 100 Direktionen und 365 Referate. Das ist eine schier unvorstellbare und sehr ineffiziente Bürokratie.

tagesschau.de: Deutschland ist das größte Geberland bei den Finanzhilfen für Griechenland und fordert besonders eindringlich Reformen. Was überwiegt bei den Griechen: Dankbarkeit für die Hilfe oder Empörung über die Einflussnahme von außen?

Bolz: Das Unbehagen über die Einmischung von außen wächst. Die EU wird oft beschrieben als eine bevormundende Instanz. Europäische Rettungspolitik wird in manchen Medien als Erpressung dargestellt. Diese Woche lautete eine Zeitungsüberschrift: "Das Protektorat der europäischen Geldgeber". Hier zeigt sich ein gespaltenes Verhältnis zu Europa und auch zu Deutschland als politisch und ökonomisch führendem Land in der EU.

"Wir erleben keine antideutsche Stimmung - im Gegenteil"

tagesschau.de: Erleben Sie in Ihrer Arbeit antideutsche Stimmung?

Bolz: Wir spüren das gar nicht - im Gegenteil: Die Zahl der Teilnehmer unserer Deutschkurse steigt. Unsere Veranstaltungen werden genauso gut besucht wie früher. Die Griechen betrachten das Goethe-Institut als ihre Verbindung zu Deutschland. Aber natürlich ist auch wahr, dass in der Öffentlichkeit immer mal wieder ein Hakenkreuz oder ein deutscher Panzer auftaucht. Ich würde sagen, diese antideutschen Reflexe gab es auch früher. Sie treten derzeit nur deutlicher zutage.

tagesschau.de:  Der deutsche Innenminister Joachim Friedrich (CSU) hat den Vorschlag gemacht, Griechenland mit einem attraktiven Angebot aus der Euro-Zone herauszulocken. Wie wird so etwas in Griechenland aufgenommen?

Bolz: Das wurde hier sehr kritisch wahrgenommen und führt natürlich nicht dazu, dass das Verhältnis zu Deutschland sich entspannt. Umso mehr fällt auf, wie überraschend positiv die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Rettungspaket für Griechenland aufgenommen wurde.

"Ich sehe die Bereitschaft, neue Wege zu gehen"

tagesschau.de: Was überwiegt derzeit in Griechenland: die Angst oder die Hoffnung auf eine bessere Zukunft?

Bolz: Es gibt einerseits eine große Depression und Angst. Die Stimmung ist sehr gedrückt. Andererseits sehe ich gerade bei jungen Leuten die Bereitschaft, neue Wege zu gehen und spannende Ideen umzusetzen – zum Beispiel bei der Entwicklung von qualitativ hochwertigen landwirtschaftlichen Produkten. Auf Kreta sehe ich, wie junge Leute Weinsorten anbauen, die es lange in Griechenland nicht mehr gab. Auch in der IT-Branche gibt es viele Innovationen. Es gibt ein enormes kreatives Potenzial im Land. Man darf bei der Analyse der Situation nicht vergessen, dass es 2011 immerhin 10.500 Unternehmensgründungen gab. Es fehlt allerdings das Vertrauen ausländischer Investoren, hier mitzumachen, zu investieren und sich einzubringen. Deshalb sind ja die derzeitigen Reformen so wichtig, weil sie Vetternwirtschaft und Korruption beenden und Rechtssicherheit herstellen sollen.

tagesschau.de: Was empfehlen Sie dem Ausland bei den Rettungsmaßnahmen?

Bolz: Die Europäische Gemeinschaft muss konsequent bleiben. Der eingeschlagene Weg ist meiner Meinung nach richtig, er muss jetzt durchgehalten werden – und zwar von beiden Seiten. Die EU darf allerdings nicht glauben, dass Reformen, die Griechenland jetzt versprochen und beschlossen hat, morgen auch umgesetzt werden. Ich empfehle, sich darauf einzustellen, dass dieser Prozess in Griechenland viel länger dauern wird, als wir es in Mitteleuropa gewohnt sind.

tagesschau.de: Wäre der Austritt aus dem Euro und die Wiedereinführung des Drachmen Ihrer Meinung nach eine Alternative?

Bolz: Um Gotteswillen, nein. Griechenland muss diesen schmerzhaften Reformprozess jetzt durchhalten. Das Land wird als gestärktes und wettbewerbsfähiges Mitglied der EU daraus hervorgehen.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.