Reisende warten am Helmut-Schmidt-Airport in Hamburg.

Airlines zahlen oft nicht Immer mehr Passagier-Klagen gegen Airlines

Stand: 30.08.2019 04:15 Uhr

Wenn ein Flug ausfällt oder sich verspätet, steht Passagieren Entschädigung zu - doch immer öfter weigern sich die Airlines zu zahlen. Die Klagen überlasten die Gerichte. Eine Fluggesellschaft fällt besonders auf.

Es klingt wie ein Witz, doch am Amtsgericht in Königs Wusterhausen mag niemand darüber lachen: Zeitweise gingen den Mitarbeitern in diesem Sommer die Aktendeckel aus. Das Gericht in Brandenburg ist für den Flughafen Berlin-Schönefeld zuständig. Fällt ein Flug aus oder verspätet sich, landen die Klagen in Königs Wusterhausen. 

Allein am 24. Juni gingen davon 570 ein. Das war Rekord. Doch mehr als 100 Fluggast-Klagen pro Woche sind inzwischen die Regel. Der Direktor des Gerichts, Matthias Deller, sagt: "Mir fehlen mindestens acht Richter und elf Mitarbeiter in der Geschäftsstelle, um das zu bewältigen. Es ist dramatisch. Wir arbeiten auf Halde."

150.000 Euro nur für Portokosten

Auf rund 150.000 Euro Portokosten käme sein Gericht in diesem Jahr - nur, um mit Anwaltskanzleien und Fluggesellschaften zu korrespondieren. Würde das Ministerium nicht einspringen, könnten sie die Postrechnungen nicht mehr bezahlen. "Aktendeckel sind uns ja auch schon ausgegangen, so dass alle anderen Gerichte aus Brandenburg uns 2500 Aktendeckel spenden mussten."

2018 bearbeitete das Gericht in Königs Wusterhausen noch etwa 3100 Fälle, die Fluggastrechte betrafen. In diesem Jahr werden es etwa 7000 sein.

Airlines weigern sich zu zahlen

In den Räumen des Amtsgerichtes in Frankfurt am Main: dasselbe Bild. Schränke voller Akten, Schreibtische voller Akten. Bei rund 60 Prozent aller Zivilklagen geht es um Fluggastrechte. 16.000 Fälle landen hier im Jahr. Die Zahl hat sich in zwei Jahren verdreifacht. Das sei nicht mehr zu leisten, klagt jetzt auch der Hessische Richterbund. Eigentlich bräuchte man für diese Masse an Fluggastklagen doppelt so viel Personal. Eigentlich. Denn vielfach seien die Fälle völlig klar: Airlines müssten nach Flugausfällen oder Verspätungen zahlen. Allein: Sie tun es nicht.

Daniel Saam, Vorsitzender des Hessischen Richterbundes, sagt, man könne den Eindruck gewinnen, dass es zum Geschäftsmodell einiger Fluggsellschaften gehöre, berechtigte Forderungen nicht zu begleichen.

Passagier-Ansprüche klar geregelt

Die Ansprüche sind in einer Verordnung der EU festgelegt. Für ausgefallene Flüge müssen Gesellschaften bis zu 600 Euro zahlen. Immer häufiger wenden sich betroffene Passagiere nun an Fluggastportale. Die treiben Entschädigungen für Reisende ein und behalten dafür im Erfolgsfall einen Teil des erstrittenen Geldes. Ein einträgliches Geschäft.

Nach eigenen Angaben hat allein das Unternehmen Fairplane 25.000 Klagen im vergangenen Jahr eingereicht. Häufig seien die Ansprechpartner auf Seiten der Airlines dieselben: "Vor allem sämtliche Billigfluglinien wie Ryanair mit der Tochter Lauda. Sämtliche Ansprüche, die dort angemeldet werden, werden gar nicht bearbeitet. Erst, wenn eine Klage zu Gericht gebracht wird, wird geprüft. Und die meisten der Klagen werden sofort wegbezahlt", sagt Andreas Sernetz, Geschäftsführer von Fairplane.

Eine Ryanair Maschine steht auf dem Gelände des Flughafens Bremen

Am beharrlichsten weigert sich nach Eindruck der Juristen Ryanair, Passagieren die ihnen zustehende Entschädigung zu zahlen.

Das schwarze Schaf: Ryanair

Dass Ryanair besonders häufig berechtigte Forderungen von Passagieren ignoriert, bestätigen auch andere Juristen und Kenner der Branche.

Ryanair bestreitet das. In einer Stellungnahme heißt es, alle berechtigten Forderungen würden innerhalb von zehn Tagen in voller Höhe gezahlt. Mitunter führten jedoch außergewöhnliche Umstände zu Verspätungen oder Streichungen von Flügen. Dann gäbe es kein Geld. "Ein Scheitern von Ryanair in dieser Hinsicht würde die Preise erhöhen und die Auswahl für alle unsere Kunden einschränken, insbesondere auf Regionalstrecken, die überproportional von den Kosten der EU-Verordnung betroffen sind", so Ryanair.

Internetportale, die Rechte von Passagieren vertreten, schädigten die Beziehung von Fluggesellschaften zu ihren Kunden. Sie gaukelten Passagieren vor, es sei schwierig berechtigte Forderungen durchzusetzen.

Airlines bauen auf Hemmschwelle eines Verfahrens

Wer ist Opfer, wer Verursacher? Für den Hessischen Richterbund ist die Sache klar: "Eine Vielzahl der Ansprüche wird außergerichtlich nicht bezahlt. Aber sobald Klage erhoben wird, ist die Sache unstreitig. Offenbar wird darauf gesetzt, dass betroffene Fluggäste ihre Ansprüche nicht gerichtlich durchsetzen", so Saam. Richter fühlten sich häufig wie Aktenverwalter, so klar seien die meisten Fälle.

Richter fordern nun, Fluggesellschaften, die berechtigte Forderungen nicht zahlen, müssten hart bestraft werden. Der Gesetzgeber sei gefordert. Damit Amtsgerichte nicht in Fluggast-Klagen ersticken.