Kolumne Euroschau Erbärmliche Debatte über Nationalitäten

Stand: 20.04.2016 14:04 Uhr

Bundesbank-Präsident Weidmann springt seinem Widersacher EZB-Chef Draghi zu Hilfe? Was ist da los? Politiker mischen sich ein - da übt man besser den Schulterschluss. Dennoch: Es wird eine erbärmliche Debatte geführt.

Von Klaus-Rainer Jackisch, HR

Die beiden sind wie Katz und Maus. Während der eine seine scharfe Kritik an der Geldpolitik der EZB meist diplomatisch verpackt, macht der andere über seinen Frust keinen Hehl - denn die ewige "Nein-Sagerei" aus Deutschland sei wenig zielführend.

Die Rede ist von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und EZB-Chef Mario Draghi. Im EZB-Rat hinter verschlossenen Türen giften sie sich gerne mal an. Ihr Verhältnis gilt bei manchen als angespannt, bei anderen als zerrüttet. Große Freunde sind sie jedenfalls nicht - eine Folge zermürbender Debatten über den richtigen Weg der Geldpolitik.

Umso mehr überraschte es, als Weidmann kürzlich seinem Widersacher zur Hilfe kam. Die heftige Kritik an der EZB aus Deutschland sei nicht gerechtfertigt, sagt er in einem Interview. Die Debatte müsse differenzierter geführt werden.

Gegen Politiker werden Gegner zu Freunden

Was war geschehen? Nachdem Banken, Sparkassen und Versicherungen schon seit längerem Sturm gegen die lockere Geldpolitik laufen, verschärft sich nun auch die Kritik aus der Politik. Aufgeschreckt durch die Wahlerfolge der populistischen AfD sehen vor allem konservative Politiker ihre Felle davon schwimmen. Sie fordern eine Rückkehr zur Normalität. Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sparte nicht mit Kritik.

Weidmann ließ sich diese Einmischung der Politik nicht bieten. Auch wenn Falken und Tauben in der Notenbank ständig aufeinander losgehen: Sobald Politiker ihre Unabhängigkeit angreifen, werden die Gegner zu Freunden. Dann weisen sie Attacken gemeinsam ab. Vor diesem Hintergrund erklärt sich Weidmanns Schulterschluss mit Draghi.

Ein Deutscher soll's richten?

Der Diskussion hat das freilich keinen Abbruch getan. Mittlerweile legten Politiker der CSU in den vergangen Tagen noch einmal nach: Der nächste EZB-Präsident müsse ein Deutscher sein, sagte der stellvertretende Fraktionschef der Union, Hans-Peter Friedrich. Sein Kollege Hans-Peter Uhl, Außenpolitiker und Bundestagsabgeordneter, verstieg sich zu der Aussage: "Einen weiteren Draghi können wir uns nicht leisten."

Was für eine erbärmliche Debatte auf unterstem Niveau! Als ob die Nationalität des Präsidenten über das Wohl und Wehe der Geldpolitik entscheiden würde. Natürlich gibt es in den unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Auffassungen zum Umgang mit der Währung. Natürlich prägen auch ein Präsident und dessen Hintergrund den Stil einer Notenbank. Aber die EZB ist eine europäische Veranstaltung, an der alle 19 Mitgliedsstaaten mitwirken. Und sie muss Geldpolitik für alle Mitglieder machen - egal, ob ein Niederländer, Franzose oder eben Italiener an ihrer Spitze steht. Das ändert sich auch nicht, wenn ein Deutscher das Ruder übernehmen würde – was ja möglich gewesen wäre, hätten deutsche Politiker es nicht verbaselt.

Oberflächliche Scheindebatte über Nationalitäten

Auch sonst machen es sich die politisch Verantwortlichen ziemlich einfach. Erst versagten sie in der Euro-Krise und machten die EZB zur Feuerwehr. Weil sie selber keine Lösungen hatten, musste die Notenbank alles richten - wohlwissend, dass Geldpolitik schnell an ihre Grenzen stößt. Dann nutzten Politiker ihre Möglichkeiten nicht, notwendige Reformen auf den Weg zu bringen. Nach jeder EZB-Sitzung rief Draghi die Politik auf, endlich zu handeln. Die Notenbank könne schließlich nur Zeit kaufen, nicht aber die Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion beseitigen. Doch außer etwas Regulierung, Rumwurstelei in der Griechenland-Rettung und eine halbherzige Bankenunion brachten die Regierenden in den Euro-Hauptstädten nicht viel auf den Weg. Zu notwendigen Schritten einer weiteren Integration fehlte ihnen der Mut. Strukturreformen wurden schnell wieder ad acta gelegt. Jetzt fangen genau diese Politiker mit nationalistischen Vorwürfen an und suchen einen Schuldigen.

Diese oberflächliche Scheindebatte über Nationalitäten führt auch am eigentlichen Kern des Problems  vorbei - nämlich der Frage, ob die jetzige ultra-lockere Geldpolitik Sinn macht und Erfolge vorzuweisen hat. Oder ob sie eher neue Probleme aufwirft.

Unternehmen wollen das Geld einfach nicht

Leider steht auch die EZB in keinem guten Licht da. Bislang kann sie nur wenige Erfolge präsentieren: Das Wirtschaftswachstum in Europa ist viel zu schwach, die Inflationsrate zu niedrig. Banken vergeben zwar etwas mehr Kredite, doch die Nachfrage der Unternehmen ist gering. Auch wenn man ihnen das Geld auf dem Silbertablett zum Niedrig-Zins präsentiert, nehmen sie es nicht an. Denn sie haben kein Vertrauen, dass ihre Investitionen sich lohnen und auszahlen. Sie wollen das Geld einfach nicht. Niedrige Zinsen hin oder her.

Gleichzeitig türmen sich die Risiken: Immobilienblase, Übertreibung am Aktienmarkt, Enteignung der Sparer, Zerfall der Altersvorsorge, Schieflage der Pensionskassen, fehlende Anreize für Krisen-Staaten, sich zu reformieren. Mit alledem legt die EZB schon heute das Fundament für die nächste Krise. Das schürt Unruhe in der Bevölkerung und kostet Vertrauen.

Vernunft - oder der Euro ist Geschichte

Deshalb ist Rückkehr zur Normalität tatsächlich mehr als geboten. Ein allmählicher Anstieg der Zinsen wäre auch kein Drama: Kein Unternehmen würde daran zu Grunde gehen. Die Überhitzung am Immobilienmarkt ließe etwas nach. Die brenzlige Situation bei Versicherungen und Pensionsfonds würde sich stabilisieren. Hochverschuldete Staaten müssten endlich Reformen umsetzen, weil Zinsen ihre roten Zahlen in die Höhe treiben würden. Nur Spekulanten am Aktienmarkt hätten etwas weniger Gewinn. Das wäre wohl zu verkraften.

Wenn nicht endlich Vernunft auf allen Seiten einkehrt und ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen Nord- und Südeuropas erreicht wird, dürften die Tage des Euro gezählt sein. Ein Projekt, bei dem die einen sich immer von den anderen übervorteilt sehen, bei der es keinen wirklichen Gemeinschaftswillen gibt und das langfristig die Basis für große Verwerfungen legt, ist zum Scheitern verurteilt.

Höchste Zeit also für alle Beteiligten, sich endlich am Riemen zu reißen!