Trichet sieht Krise von "systemischer Dimension" Dramatischer Appell des EZB-Chefs

Stand: 11.10.2011 14:24 Uhr

EZB-Chef Trichet fordert die Politik zu raschem Handeln auf: Die Schuldenkrise habe "globale Ausmaße" und sei eine Krise von "systemischer Dimension". Euro-Gruppen-Chef Juncker schloss einen drastischen Schuldenschnitt für Griechenland nicht aus. Die Troika gab unterdessen grünes Licht für die Auszahlung der nächsten Kredittranche an das Land.

Mit einem dramatischen Appell hat der scheidende EZB-Präsident Jean-Claude Trichet Europa in der Schulden- und Bankenkrise zu raschem Handeln aufgefordert. Die Krise sei von "systemischer Dimension" und bereits von kleineren auf größere EU-Staaten übergesprungen, warnte Trichet vor dem Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europaparlaments. Dort sprach er als Chef des Europäischen Systemrisikorats (ESRB) - einer Art Frühwarnsystem, das als Reaktion auf die zurückliegende Finanzkrise geschaffen wurde.

"Banken müssen rekapitalisiert werden"

Der aus dem Amt scheidende EZB-Chef nutzte seinen letzten Auftritt vor dem Parlament, um der Politik vor dem EU-Gipfel am 23. Oktober den Ernst der Lage vor Augen zu führen: "Wenn Probleme auftauchen, müssen sie so schnell und wirksam bekämpft werden wie möglich." Es sei keine Frage, dass die Banken in Europa rekapitalisiert werden müssten. "Das ist Teil unserer Botschaft. Entscheidungen müssen getroffen werden - und zwar so schnell wie möglich." Nun sei Krisenmanagement gefragt, betonte Trichet - zumal die Staatsschuldenkrise "globale Ausmaße" angenommen habe.

Die Lage an den Märkten sei nicht nur in Europa angespannt. "Die hohe Schwankungsanfälligkeit an den Aktienmärkten zeigt, dass sich die Spannungen weltweit über die Kapitalmärkte ausgebreitet haben." Die stark vernetzte Finanzbranche in Europa kämpfe mit Ansteckungsrisiken. Diese bedrohten die Finanzstabilität in der EU als Ganzes und beeinträchtigten die Realwirtschaft in Europa und darüber hinaus.

Juncker schließt Schuldenschnitt für Griechenland nicht aus

Der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, schloss in einem Interview mit dem österreichischen Sender ORF einen Schuldenschnitt für Griechenland nicht mehr aus. Über den Umfang eines Schuldenschnitts wollte der luxemburgische Ministerpräsident nicht spekulieren. Auf die Frage, ob in der EU über einen Schuldenschnitt in Höhe von 50 bis 60 Prozent diskutiert werde, sagte er aber: "Wir reden über mehr."

Gleichzeitig wies er auf die Gefahren eines solchen Schritts hin. Man dürfe nicht glauben, dass ein Schuldenschnitt genüge, warnte der luxemburgische Ministerpräsident: "Man muss dafür Sorge tragen, dass dies nicht zu Ansteckungsgefahren in der Eurozone führt." Er plädierte dafür, eine Staatspleite in der Eurozone "mit aller Gewalt" zu verhindern. Die politische Führung in der Krise sei "nicht optimal" gewesen, sagte der Chef der Euro-Gruppe. "Wir waren nicht schnell genug", räumte er ein. Die Finanzmärkte könnten einfach rascher reagieren.

Auch das Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), Marko Kranjec, rechnet mit einer Schuldenrestrukturierung Griechenlands. "Ich bin mir sicher, dass Griechenland nicht bankrott gehen wird, zumindest nicht in dem Sinne, dass es andere Länder mit in den Abgrund zieht. Eine Umstrukturierung ist jedoch höchstwahrscheinlich und wird bereits diskutiert", sagte Kranjec in einem Interview im slowenischen Fernsehen.

Troika: "Holprige" Fortschritte - aber grünes Licht für nächste Tranche

Entwarnung für Griechenland gibt es immerhin, was die Auszahlung der nächsten Kredittranche anbelangt: Die Auszahlung von acht Milliarden Euro wird nach Ansicht der Troika wahrscheinlich Anfang November erfolgen. Die Euro-Gruppe und der Internationale Währungsfonds (IWF) müssten den Ergebnissen der Troika-Prüfung nur noch zustimmen, erklärten die Experten. Zugleich gaben sich die Fachleute optimistisch, dass das Mittelmeerland bei einer entschlossenen Umsetzung der Sparziele das Defizitziel für 2012 erreicht. Die Ziele für das Jahr 2011 seien jedoch "nicht mehr in Reichweite".

Allerdings mahnten sie auch weitere Schritte an. Die Fortschritte bei den bisherigen Reformen seien "holprig". Vor allem die Privatisierungseinnahmen würden niedriger sein als zunächst erwartet. Zugleich betonten die Troika-Inspektoren, ein Erfolg des griechischen Reformprogramms sei von der Beteiligung des privaten Sektors abhängig. Insgesamt sei aber mit der Regierung eine Einigung erzielt worden, um das Wirtschaftsprogramm des hoch verschuldeten Landes wieder auf Kurs zu bringen.

Die Troika - Experten von EZB, IWF und EU, die die griechischen Sparbemühungen überwachen - hatten in den vergangenen Tagen die Bücher in Athen geprüft. Von ihrem Votum hängt ab, ob die nächste Tranche des im vergangenen Jahr beschlossenen Milliarden-Kreditpakets überwiesen wird. Ohne weitere Kreditauszahlungen würde der griechischen Regierung nach eigenen Angaben Mitte November das Geld ausgehen.