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Frankfurter Polizei V-Mann vor Strafverfolgung geschützt?

Stand: 07.11.2023 06:00 Uhr

Ein 2022 ermordeter Informant der Frankfurter Polizei stand im Verdacht, mit großen Mengen Drogen gedealt zu haben. Dokumente zufolge, die NDR und WDR auswerten konnten, stellte die Staatsanwaltschaft Gießen ein Verfahren trotz offenbar belastender Beweise gegen ihn ein.

Von Florian Flade, WDR, Reiko Pinkert und Jonas Schreijäg, NDR

Im Sommer 2020 waren die Ermittler einer Gruppe mutmaßlicher Drogenhändler dicht auf der Spur. Sie hörten ihre Telefonate ab und observierten sie heimlich. Der Verdacht: Die Männer schmuggeln Cannabis, Kokain und Ecstasy-Tabletten in großen Mengen aus Spanien nach Deutschland. Doch dann kam die unerwartete Wendung.

Eine Ermittlerin der Frankfurter Polizei hatte im März 2021 angeregt, das Ermittlungsverfahren unter anderem deswegen einzustellen, weil von den "Beschuldigten sogenannte 'Krypto-Handys' zur Kommunikation untereinander genutzt werden, die eine Überwachung derzeit unmöglich machen". Die Staatsanwaltschaft Gießen überzeugte das offenbar. Sie stellte das Verfahren ein.

Daten aus Krypto-Handys lagen vor

Doch genau die besagte Kommunikation mit "Krypto-Handys", nämlich zahlreiche Chatprotokolle, haben nach Recherchen von NDR und WDR den Frankfurter Beamten zu diesem Zeitpunkt längst vorgelegen. Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte demnach dem Polizeipräsidium Frankfurt am Main und der Staatsanwaltschaft Gießen bereits im Oktober 2020 zur Unterstützung des Verfahrens einen sogenannten Encrochat-Datensatz zugesandt.

Die entschlüsselten Chats, Bilddateien und Telefonate sollen gezeigt haben, wie die Beschuldigten im Gießener Ermittlungsverfahren ihre Drogentransporte von Spanien nach Deutschland koordiniert und organisiert haben sollen. Laut den auswertenden Ermittlern handelte es sich jeweils um Betäubungsmittel zwischen 50 bis 300 Kilogramm pro Lieferung im Wert von mehreren Hunderttausend Euro.

Informant nutzte Encrochat

Unter den Beschuldigten im Gießener Verfahren war auch Aleksandar K. aus Offenbach. NDR und WDR hatten enthüllt, dass der Serbe als V-Mann für die Frankfurter Polizei im Einsatz war und im Juni 2022 im südspanischen Marbella ermordet wurde. Identifiziert wurde der Mann in dem Encrochat-Datensatz durch Bilder und das Kennzeichen seines Lkw.

Das Kennzeichen hätte er demnach einem Kurierfahrer in Spanien durchgegeben, der den Wagen suchte. An der Identifizierung beteiligt war auch eine Beamtin des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main. Es war ausgerechnet jene Polizistin, die später empfohlen hatte, das Verfahren gegen K. einzustellen - mit dem Hinweis, dass eine weitere Überwachung technisch nicht möglich sei. Die Beamtin hatte vorher auch die Observationen und Telefonüberwachungen in dem Verfahren koordiniert.

Polizei und Staatsanwaltschaft äußern sich nicht

Im November 2021 nahmen die Ermittler das Verfahren gegen den Informanten und seine Mittäter unter "Vollschutz" wieder auf. Gemeint sind damit besondere Geheimhaltungsvorschriften. Grund für die Wiederaufnahme war eine neue Lieferung des BKA. Diesmal schickten die Beamten aus Wiesbaden Datensätze von sogenannten SkyECC-Handys. Auch mit diesen soll der V-Mann seine Drogengeschäfte organisiert haben. Eingestellt wurde das Verfahren erst, als der Mann tot war.

Auf Nachfrage, warum das Verfahren zwischenzeitlich eingestellt worden war, wollten sich sowohl das Polizeipräsidium Frankfurt am Main als auch die Staatsanwaltschaft Gießen nicht äußern. Auch nicht auf die Frage, ob man den Informanten zuerst vor Strafverfolgung schützen wollte.

Welche Rolle spielte sein Partner?

NDR und WDR hatten enthüllt, dass der Informant der Frankfurter Polizei im Juni 2022 in einer Ferienanlage in Marbella ermordet wurde. Die Täter sind seitdem auf der Flucht. Aleksandar K. hatte sich bei seinen Drogengeschäften offenbar viele Feinde gemacht.

Neue Recherchen zeigen nun: Der Ex-Geschäftspartner des Informanten, der mittlerweile wegen Drogenhandels verurteilte Frankfurter Rechtsanwalt Benjamin D., soll in den Krypto-Chats von Mordfantasien geschrieben haben. Das zeigen Ermittlungsakten, die NDR und WDR einsehen konnten.

Demnach sollen Benjamin D. und der V-Mann gemeinsam ein Logistikunternehmen geführt haben, um Drogen nach Deutschland zu schmuggeln. Laut den Chats, die der Anwalt geschrieben haben soll, soll der Serbe dem Anwalt hohe Summen Drogengeld geschuldet haben. Benjamin D. schrieb offenbar, dass dieses Geld nicht ihm, sondern anderen Anwälten und deren Mandanten gehöre. Immer wieder soll er den Informanten aufgefordert haben, ihm das Geld zu geben.

Im November 2020 soll der Anwalt dann einem anderen Dealer über ein verschlüsseltes Telefon geschrieben haben: "Den Typen machen wir gemeinsam kalt." Und weiter: "Wenn der gezahlt hat, hole ich mir den." Rechtsanwalt Benjamin D. wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern. Es gibt keine Belege dafür, dass er an der Tat beteiligt war. Die Staatsanwaltschaft Hanau erklärte auf Anfrage, man ermittele nicht wegen Mordes gegen D.

Keine Aufklärung im hessischen Landtag

Am vergangenen Donnerstag sollte Hessens Innenminister Peter Beuth im Landtag in Wiesbaden über den Fall aufklären. Das jedenfalls hatte vorher die Opposition gefordert.

Doch der Minister soll sich laut Teilnehmern sowohl in der öffentlichen als auch in der vertraulichen Sitzung des Innenausschusses ausweichend geäußert haben. Er verwies lediglich auf die Richtlinien im Umgang mit V-Personen und das dringend notwendige Geheimhaltungsbedürfnis. Dies sei auch nach dem Tod eines Informanten einzuhalten.