Tagesschau-App war 2011 "presseähnlich" Was bedeutet das Urteil zur Tagesschau-App?

Stand: 30.09.2016 16:08 Uhr

Nach jahrelangem Rechtsstreit hat das Oberlandesgericht Köln die Tagesschau-App als "presseähnlich" eingestuft. In der Form, in der sie am Beispieltag 2011 abrufbar war, sei sie unzulässig gewesen.

Von Frank Bräutigam, ARD-Rechtsredaktion

Wie funktioniert die Tagesschau-App?

Seit Dezember 2010 gibt es die Tagesschau-App. Inzwischen ist das mobile Nachrichtenangebot mehr als zehn Millionen Mal heruntergeladen worden. Alle Inhalte der App existieren bereits auf tagesschau.de. Es gibt also keine eigene "App-Redaktion". Die Inhalte werden von der tagesschau.de-Redaktion in Hamburg aus den vorhandenen Sendungen, eigenen Beiträgen und den Beiträgen der Korrespondenten im In- und Ausland zusammengestellt. Verantwortlich für die App innerhalb der ARD ist der Norddeutsche Rundfunk (NDR).

Wer hat geklagt und worum dreht sich der Streit?

Gegen die Tagesschau-App klagen acht Zeitungsverlage. Unter anderem die Verlage der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der "Süddeutschen Zeitung" und der Axel Springer Verlag. In dem Verfahren geht es exemplarisch um das App-Angebot eines ganz bestimmten Tages, nämlich des 15. Juni 2011.

Die Verlage sehen in dem Angebot der Tagesschau-App eine Wettbewerbsverzerrung. Kostenlose Angebote der beitragsfinanzierten Sender ARD und ZDF würden den Markt für die Verlage kaputt machen. Vor allem die Textanteile in der App, die zusätzlich zu Videos und Audiobeiträgen angeboten würden, machten den Online-Angeboten der Verlage und den  gedruckten Zeitungen Konkurrenz.

Der NDR argumentiert, an zentraler Stelle gebe es einen Livestream, ein Video-on-Demand-Angebot und die "Tagesschau in 100 Sekunden". Dazu seien zahlreiche verlinkte Fernseh- und Hörfunkbeiträge vorhanden. Der Gesetzgeber habe kein komplettes Textverbot im Internet regeln wollen. Auch ein Angebot mit längeren Texten sei dann nicht presseähnlich, wenn es multimedial gestaltet sei, also vor allem als Ergänzung zu Audio- und Videoformaten diene.

Welche Regeln gelten für Internetauftritte der öffentlich-rechtlichen Sender?

Im "Rundfunkstaatsvertrag" der Länder ist geregelt, mit welchen Angeboten der öffentlich-rechtliche Rundfunk an den Start gehen darf. Das sind zum einen die Hörfunk- und Fernsehprogramme, zum anderen "Telemedien", also Angebote im Internet. Für diese Internetangebote stellt der Staatsvertrag einschränkende Regeln auf.

Internetangebote, die sich nicht explizit auf eine Sendung beziehen, darf es nur geben, wenn zuvor ein bestimmtes Verfahren durchgeführt wurde: der sogenannte "Drei-Stufen-Test". Darin prüft der Rundfunkrat, das Aufsichtsgremium jedes öffentlich-rechtlichen Senders, ob das Internetangebot den gesetzlichen Auftrag nicht überschreitet.

Außerdem gibt es im Rundfunkstaatsvertrag konkrete Grenzen für das Internetangebot, die im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehen. Dort heißt es wörtlich: "Nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote sind nicht zulässig." (§ 11d Absatz 2 Nr. 3 Rundfunkstaatsvertrag).

Bei der Prüfung muss man also in einem ersten Schritt schauen, welche Angebote auf der Tagesschau-App sich auf Sendungen beziehen. Bei allen anderen Angeboten folgt dann Schritt zwei der Prüfung: Sind die Angebote "presseähnlich"?

Der Gerichtsstreit über diese Vorschriften ist schon einmal durch die Instanzen bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe gegangen, der den Fall am 30. April 2015 ans OLG Köln zurückverwies, was dann zur heutigen Entscheidung geführt hat.

Was hatte der Bundesgerichtshof 2015 entschieden?

Der BGH stellte 2015 zunächst klar: Die Inhalte der Tagesschau-App müssen durch die Gerichte überprüft werden können. Das Konzept von tagesschau.de und damit auch die Tagesschau seien zwar durch den "Drei-Stufen-Test" abgesegnet. Damit sei aber nicht abschließend entschieden, ob auch das konkrete Angebot "presseähnlich" ist.

Für die konkrete Prüfung zu den Fragen "Sendungsbezug" und "presseähnlich" hat der BGH den Fall ans OLG Köln zurückverwiesen und einige Grundsätze mit auf den Weg gegeben. Der BGH betonte, dass man zunächst ermitteln muss, welche Angebote nicht sendungsbezogen sind. Die übrigen Angebote sind dann daraufhin zu prüfen sind, ob sie "presseähnlich" sind. Es komme dabei nicht darauf an, ob davon einzelne Beiträge für sich genommen presseähnlich seien, entscheidend sei die "Gesamtheit" der nicht sendungsbezogenen Angebote. Konkret müsse man das Angebot mit Druckausgaben von Zeitungen und Zeitschriften vergleichen. Für Zeitungen sei typisch, dass sie Texte und unbewegte Bilder enthalten. Stehe der Text deutlich im Vordergrund, deute dies auf die Presseähnlichkeit hin.

Der BGH betonte abschließend: Ein Angebot sei nicht schon deshalb "presseähnlich", weil der User es vielleicht als "Presseersatz" nutzt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk dürfe auch im Internet umfassend über sämtliche Themen berichten, die auch in Zeitungen und Zeitschriften stehen - mit der gesetzlichen Einschränkung, dass es in der Gestaltung ohne Sendungsbezug nicht "presseähnlich" sein darf.

Was hat das OLG Köln nun entschieden?

Das OLG Köln hat heute entschieden: Das Angebot der Tagesschau-App ist, so wie sie am 15. Juni 2011 abrufbar war, unzulässig. Das Gericht habe die Gesamtheit der nicht sendungsbezogenen Inhalte bewertet, heißt es in der Pressemitteilung. Basis für diese Bewertung sei ein von den Verlagen vorgelegter Ausdruck des Angebots in Papierform gewesen. Schon die Start- und Übersichtsseiten bestünden ausschließlich aus Text und Standbildern. Auch auf den nachgelagerten Ebenen sei die Gestaltung der Beiträge mit wenigen Ausnahmen dadurch geprägt, dass es um in sich geschlossene Nachrichtentexte gehe. Diese seien aus sich heraus verständlich und mit Standbildern illustriert. Nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs sei das als "presseähnlich" zu qualifizieren.

Ist die Tagesschau-App damit insgesamt verboten?

Nein. Die Feststellung des OLG Köln bezieht sich auf das Angebot vom 15. Juni 2011, nur dieser war Gegenstand der Klage. Das Urteil erstreckt sich nicht auf das gesamte Angebot der App bis heute. Gleichwohl muss sich das aktuelle Angebot natürlich an den Grundsätzen des Gerichts messen lassen.

Dazu sagt die verantwortliche Redaktionsleiterin von tagesschau.de, Christiane Krogmann: "Die Tagesschau-App hat sich seit 2011 stark verändert. Alle Beiträge in unserer App sind multimedial und enthalten Fotos, Videos und Audio-Elemente. Schon auf der Startseite präsentieren wir unsere wichtigsten Sendungen. Gleichzeitig gibt es natürlich sehr große thematische Überschneidungen zwischen den Tagesschau-Sendungen und dem Tagesschau-Onlineauftritt. Fast alle Beiträge sind also sendebegleitend."

Wie geht es jetzt weiter?

Der NDR werde gemeinsam mit der ARD die Urteilsgründe und die Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel sorgfältig prüfen, um mögliche Einschränkungen für die Online-Angebote zu vermeiden, sagt Michael Kühn, Justiziar des NDR. Zugleich bekräftigte Kühn die Bereitschaft der ARD, mit den Verlagen Kooperationen einzugehen. So sei die unentgeltliche Nutzung der "Tagesschau in 100 Sekunden" für digitale Angebote der Verlage ebenso möglich wie die Bereitstellung einzelner Videos für deren Internet-Seiten. "Die Nachrichtenangebote der Verlage und der ARD haben eins gemeinsam: Hohe journalistische Qualität. Daher sind wir nach wie vor gesprächsbereit", so Michael Kühn.