Vor dem Tag der Arbeit: Wie fleißig sind wir Deutschen?

Aktuelle Stunde 30.04.2024 34:15 Min. UT Verfügbar bis 30.04.2026 WDR Von Henry Bischof

So viel arbeiten die Deutschen: Ein Vergleich in Grafiken

Stand: 01.05.2024, 06:02 Uhr

Arbeiten die Menschen in Deutschland mehr oder weniger als die europäischen Nachbarn? Männer mehr als Frauen? Junge weniger als Alte? Ein Vergleich.

Am Tag der Arbeit schaut Deutschland auf die Arbeitsbedingungen im Land, Forderungen nach Entlastung werden laut. Doch schon vor einigen Wochen rief Christian Lindner (FDP) die angeblich so fleißigen Deutschen zur Ordnung: In Italien und Frankreich und anderswo werde inzwischen erheblich mehr gearbeitet als in Deutschland, mahnte der Finanzminister im Bundestag. Gerichtet war der Appell offenbar an die Gewerkschaften, die in den jüngsten Tarifrunden nicht nur höhere Löhne, sondern auch mehr Freizeitausgleich für ihre Beschäftigten aushandeln konnten.

Gehört das sprichwörtliche deutsche Arbeitsethos wirklich der Vergangenheit an?

Durchschnittliche Arbeitszeit sinkt

Tatsächlich gibt es bei der durchschnittlichen Arbeitszeit der Deutschen offenbar Luft nach oben. Nach Zahlen des EU-eigenen Statistik-Portals "Eurostat" lag die durchschnittliche Wochenarbeitszeit im Jahr 2022 nur noch bei 34,7 Stunden. Zehn Jahre zuvor hatten die Deutschen im Schnitt noch knapp eine Stunde länger gearbeitet (35,5 Stunden). Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der EU lag im vergangenen Jahr weit über dem deutschen Durchschnitt: bei 37 Stunden pro Woche.

Auch der direkte Vergleich hält einige Überraschungen bereit: So sind zum Beispiel Arbeiter und Arbeiterinnen in Griechenland - statistisch - die fleißigsten in der Eurozone. Im vergangenen Jahr leisteten sie wöchentlich stolze 41 Arbeitsstunden - rund sechs Stunden mehr als ihre deutschen Kollegen und Kolleginnen. Deutschland landet auf dem drittletzten Platz.

Viele Teilzeitbeschäftigte drücken auf die Statistik

Ganz Deutschland ein Volk der arbeitsscheuen Chiller? "Ganz so schlimm ist es dann doch nicht", sagt Holger Schäfer, Wirtschaftwissenschaftler am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) und Experte für die Themen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Das schlechte Ranking für Deutschland in dieser Statistik liege vor allem daran, dass die Arbeitsstunden von Menschen in Voll- und Teilzeit in eine gemeinsame Tabelle eingeflossen sind. "Im europäischen Vergleich arbeiten in Deutschland vergleichsweise viel mehr Menschen in Teilzeit. Das verzerrt das Ergebnis."

Tatsächlich sieht die Statistik erheblich weniger dramatisch aus, wenn man nur auf die Vollzeitbeschäftigten blickt: Dort liegt Deutschland bei einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 40,4 Stunden im europäischen Mittelfeld. "Hier gibt es nur relativ wenig Variation zwischen den einzelnen Ländern", betont Schäfer.

Porträt von Holger Schäfer

Holger Schäfer, Wirtschaftwissenschaftler am Institut der Deutschen Wirtschaft (IW)

Auch bei einem Vergleich der Arbeitszeiten zwischen Männern und Frauen ist der Teilzeit-Effekt deutlich zu erkennen. Weil erheblich mehr Frauen als Männer in Teilzeit arbeiten - meist weil sie sich hauptsächlich um Kinder kümmern - arbeiten sie zwar durchschnittlich weniger als Männer. Falls sie aber einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, ist bei der Arbeitszeit kaum noch ein Unterschied zwischen den Geschlechtern zu erkennen.

Osteuropa: Mehr Frauen für den Arbeitsmarkt

Anders als in Deutschland gibt es in vielen osteuropäischen Ländern annähernd gleiche Arbeitszeiten für Männer und Frauen. Auch eine Folge der sozialistischen Vergangenheit, sagt IW-Experte Schäfer. "Einen ähnlichen Effekt haben wir früher auch bei einem Vergleich von Alten und Neuen Bundesländern festgestellt. Das hat sich aber inzwischen nahezu angeglichen."

Die stärkere Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt habe in den Ländern des ehemaligen Ostblocks eine lange Tradition, erklärt Schäfer. Hinzu komme eine oft bessere Infrastruktur bei der Kinderbetreuung, die Müttern den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben erleichtere.

Der sogenannten "Generation Z" wird häufig nachgesagt, dass sie vor allem an einer guten "Work-Life-Balance" interessiert ist. Unfreundlich ausgedrückt: Sie möchte nicht mehr so hart arbeiten wie ihre Väter und Mütter. Tatsächlich liegen nach den Daten von "Eurostat" sowohl in Voll- als auch in Teilzeit die Arbeitszeiten von jungen Menschen zwischen 15 und 34 leicht unter den Werten der älteren Generation.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander

Für den Wirtschaftswissenschaftler sind die Statistiken in diesem Fall allerdings mit Vorsicht zu behandeln. "Studenten und Schüler, die meist nur wenige Stunden nebenbei arbeiten, müssten eigentlich herausgerechnet werden, um wirklich valide Ergebnisse zu erhalten." Tatsächlich gebe es in der jungen Generation den Wunsch zu kürzeren Arbeitszeiten, wie aktuelle Umfragen gezeigt hätten. "Aber diesen Trend haben wir auch bei älteren Befragten registriert."

Quellen

  • Daten von Eurostat
  • Interview mit Holger Schäfer
  • Deutsche Presse Agentur

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