Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen

Organisation der Transplantation Organspende - das System und seine Tücken

Stand: 22.10.2015 13:59 Uhr

Die Organspendeskandale und zunehmende Transplantationen an den Wartelisten vorbei werfen Fragen auf. Wie funktioniert die Verteilung von Spenderorganen? Wie wird sie kontrolliert? Wie groß ist die Gefahr von Missbrauch und Manipulation? tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen und gibt einen Überblick.

Wie groß ist der Bedarf an Organspenden?

Auf den Wartelisten für ein Spenderorgan stehen zurzeit etwa 12.000 Patienten. Rund 1000 von ihnen sterben jährlich, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten. Der weitaus größte Teil von ihnen - 8000 Patienten - wartet auf die Übertragung einer Niere.

Ein einzelner Organspender kann bis zu sieben schwer kranken Menschen helfen. 2011 wurden 1200 Menschen nach ihrem Tod 3917 Organe entnommen - das waren 7,4 Prozent Spender weniger als im Vorjahr. In Deutschland kommen auf eine Million Einwohner 14,7 Spender. International liegt die Bundesrepublik damit im unteren Drittel. Wichtig dabei: Drei Viertel der Deutschen sind laut Umfragen durchaus bereit, ein Organ zu spenden. Bislang besitzt aber nur ein Viertel der Bürger einen Organspendeausweis, und die Skandale führten dazu, dass die Bereitschaft zu Organspenden nachließ.

Deutschland ist bei den Organübertragungen ein Nehmerland. Insgesamt wurden im Jahr 2011 4054 Organe übertragen.

Nach welchen Kriterien funktioniert die Warteliste für Spenderorgane?

In den deutschen Transplantationszentren werden Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse und Darm transplantiert. Für die Vergabe der Spenderorgane gibt es einen festen Katalog von Kriterien. Diese legt die Bundesärztekammer auf Basis des Transplantationsgesetzes fest.

Für Organempfänger werden Wartelisten geführt. Jeder betroffene Patient erhält nach einer ausführlichen ärztlichen Untersuchung Punkte, die sich nach der Wartezeit, der Dringlichkeit und Gewebemerkmalen richten. Besonders berücksichtigt werden Kinder als Organempfänger. Der Patient mit der höchsten Punktzahl erhält jeweils als erster das benötigte Organ.

Nicht alle Patienten, die ein neues Organ benötigen, können auf eine Warteliste aufgenommen werden. Ist das Risiko der Transplantation und ihrer Nachbehandlung zu hoch und sind die Erfolgsaussichten schlecht, so wird der Eingriff nicht in Betracht gezogen. Nach dem Transplantationsgesetz sind die Ärzte verpflichtet, Gründe für oder gegen die Aufnahme auf die Warteliste zu dokumentieren und dem Patienten mitzuteilen. Dabei sind sie verpflichtet, den Richtlinien der Bundesärztekammer zu folgen.

Welche Instanz kümmert sich um die gerechte Verteilung der Organe?

Die Transplantationszentren geben die erforderlichen Patientendaten weiter an die Vermittlungsstelle Eurotransplant (ET) in Leiden, Niederlande. Dort werden für jedes Organ gemeinsame Wartelisten der ET-Mitgliedsländer Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Kroatien, Ungarn und Deutschland geführt. Die länderübergreifende Kooperation ermöglicht es, in dringenden Fällen möglichst rasch ein lebensrettendes Organ zu finden. Eurotansplant soll eine möglichst gerechte Verteilung der Organe gewährleisten.

Warum werden Organe an der Warteliste vorbei vermittelt?

Die Wartezeiten für ein Spenderorgan sind oft lang. Der Anreiz ist deshalb groß, Organe an der offiziellen Warteliste vorbei zu transplantieren. Laut aktueller Zahlen der Bundesregierung wird jedes vierte Herz und jede zweite Bauchspeicheldrüse direkt von den Kliniken an selbst ausgesuchte Patienten vergeben. Die Krankenhäuser nutzen dabei das so genannte beschleunigte Verfahren, das vom Gesetzgeber dann zugelassen ist, wenn es sich um ältere oder kranke Spender handelt, für deren Organe es nur wenige geeignete Empfänger gibt. Die Bundesregierung erklärt den Anstieg der so genannten beschleunigten Verfahren mit dem zunehmenden Alter der Organspender.

Es besteht der Verdacht, dass auch die Manipulation von Daten für den Anstieg verantwortlich ist. Der Vorwurf: Die Spender würden von den Ärzten "kränker" gemacht, um das bestehende System der Organverteilung zu unterlaufen. Der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, fordert Aufklärung und mehr Transparenz beim beschleunigten Vergabeverfahren. Außerdem fordert er eine geringere Zahl an Transplantationszentren, um einen Kampf um Spenderorgane zu vermeiden.

Warum ist die Gefahr der Manipulation bei der Organvergabe so groß?

Die für die Warteliste erforderliche Punktevergabe ergibt sich aus den Untersuchungen der jeweiligen Klinik-Ärzte. Diese haben ein großes Interesse, ihren Patienten möglichst schnell ein Spenderorgan zukommen zu lassen. Manipulationen der Patientendaten sind also nicht ausgeschlossen.

Im Juli 2012 fiel der Verdacht der Manipulation auf die Universitätskliniken Regensburg und Göttingen. Ein Oberarzt soll zuerst in Regensburg und später in Göttingen zahlreiche Krankenakten gefälscht haben, damit seine Patienten auf der Warteliste nach oben rücken. Dabei soll er die Krankheit auf dem Papier verschlimmert haben, damit die Patienten schneller an ein neues Organ kommen - obwohl andere Patienten schon länger darauf warteten.

Ende September 2012 geriet das Münchner Klinikum Rechts der Isar in Verdacht, danach auch das Transplantationszentrum in Leipzig. Dass es mehr Verdachtsmomente gibt, liegt auch an schärferen Kontrollen. Als Folge des Skandals prüfen zwei unabhängige Kommissionen seit September 2012 gezielt Lebertransplantationsprogramme. Über die Motive für Manipulationen wird noch spekuliert, die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Wie will die Politik den Missbrauch künftig verhindern?

Als Konsequenz aus den Organtransplantationsskandalen verschärfte die Bundesregierung in Absprache mit der Ärzteschaft und den Krankenkassen zum 1. August 2012 die gesetzlichen Regeln. Seitdem sind die Transplantationszentren und die Entnahmekrankenhäuser verpflichtet, der bestehenden Prüfungskommission unter dem Dach der Bundesärztekammer Unterlagen über Vermittlungsentscheidungen zu geben und Auskünfte zu erteilen. Die Kommission muss Erkenntnisse über Verstöße an die Behörden der Länder weiterleiten. Neben Vertretern der Ärzte, Krankenkassen und Kliniken sind auch Ländervertreter in der Kommission vertreten. Nach dem zuletzt bekannt gewordenen Fall in Leipzig verteidigte das Gesundheitsministerium die Form der Kontrollen als funktionsfähig. Kritik daran, dass die Prüfung unter dem Dach der Bundesärztekammer stattfindet, wies das Ministerium zurück. Die Prüfungskommission arbeite unabhängig.

Wie funktioniert die Organspende nach dem neuen Gesetz?

Das vom Bundestag verabschiedete Entscheidungsgesetz sieht vor, dass alle gesetzlichen und privaten Krankenkassen ihre Mitglieder anschreiben und fragen, ob diese für den Fall ihres Todes zu einer Organspende bereit wären. Das soll bis Mitte 2013 geschehen. Später sollen die Kassen dann alle zwei Jahre die Mitglieder im Alter von mehr als 16 Jahren erneut befragen.

Diese direkte Ansprache, kombiniert mit Informationsmaterial, soll dazu führen, dass die Menschen mit Angehörigen und Freunden über eine mögliche Organspende reden und so die Bereitschaft zu einer Spende wächst.

Diese wird wie bisher im Organspendeausweis notiert. Versicherte können dort ausdrücklich erlauben, dass nach ihrem Tod Organe und Gewebe aus ihrem Körper entnommen werden, um anderen Menschen zu helfen. Sie können dies auch auf bestimmte Organe beschränken. Auch wenn sie auf gar keinen Fall Organe spenden möchten, können sie dies im Ausweis vermerken. Außerdem hat jeder Bundesbürger die Möglichkeit, einer Vertrauensperson für den Fall seines Todes diese Entscheidung zu übertragen.

Versicherte können das Anschreiben der Krankenkasse auch einfach ignorieren. Doch nur, wer ausdrücklich erklärt, dass er im Todesfall keine Organe spenden will, kann sicher sein, dass dies nicht geschieht

Für den Fall eines schweren Unfalls ist es sinnvoll, den Organspendeausweis bei sich zu führen. Wer das nicht möchte, sollte eine Person seines Vertrauens über die Entscheidung informieren und sagen, wo der Ausweis liegt.

Wie wird mit den Daten von Organspende-Willigen verfahren?

Es gibt in Deutschland kein Organspenderegister. Es genügt, einen Organspendeausweis auf Papier auszufüllen und diesen stets bei sich zu tragen.

Das neue Gesetz sieht aber vor, die Entscheidung für oder gegen eine Organspende auf Wunsch des Bürgers auch auf der elektronischen Gesundheitskarte eines Krankenkassenmitglieds zu speichern. Datenschützer befürchten eine Aufweichung der Datenschutzrichtlinien. Eine Speicherung auf der Gesundheitskarte ist derzeit technisch ohnehin noch nicht möglich.

Das Transplantationsgesetz sieht auch vor, dass personenbezogene Organspenderdaten zu Forschungszwecken an die Pharmaindustrie weitergegeben werden können, um Nebenwirkungen bei Medikamenten zu verringern. Dazu bedarf es keiner Einwilligung der Betroffenen. Auch dies wird von Datenschützern kritisiert.

Was macht die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO)?

Dafür, dass die gespendeten Organe bei den Menschen ankommen, die dringend auf sie warten, ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zuständig. Sie ist die bundesweite Koordinierungsstelle für postmortale Organspende. Vor 27 Jahren wurde sie gegründet.

Die DSO kümmert sich um die Begleitung der Angehörigen von Organspendern. Dazu besuchen die Mitarbeiter der DSO die Intensivstationen der Krankenhäuser. Sie suchen den Kontakt mit den Angehörigen, um mit ihnen über eine eventuelle Organspende zu sprechen. Kritiker beklagen, dass die Mitarbeiter der DSO dabei auch Druck auf Angehörige ausüben. Pro gespendetem Organ erhält die Stiftung rund 8000 Euro von den Krankenkassen.

Die DSO untersteht kaum einer Kontrolle. Darüber wurde in den vergangenen Monaten heftig debattiert. Ein Gutachten über die DSO, erstellt für den Gesundheitsausschuss des deutschen Bundestages, beklagte den verschwenderischen Umgang mit Geldern und zahlreiche finanzielle Ungereimtheiten. Ein Gutachten einer externen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft entlastete die DSO. Es stellte kein strafrechtlich relevantes Verhalten und keine finanzielle Bereicherung des Vorstandes fest, aber einen Verstoß gegen die Geschäftsordnung der DSO. Im Mai 2012 trat der kaufmännische Vorstand der DSO, Thomas Beck,von seinem Posten zurück. Der Stiftungsrat beschloss Strukturveränderungen bei der DSO.

Wie wird im Fall der Organspende der Todeseintritt definiert?

Dies ist im Transplantationsgesetz streng geregelt. Erstens muss der Hirntod des möglichen Spenders entsprechend den Richtlinien der Bundesärztekammer von zwei Ärzten festgestellt worden sein. Zweitens muss die Einwilligung des Verstorbenen in eine Organspende bekannt sein oder die Angehörigen müssen nach seinem mutmaßlichen Willen einer Organentnahme zustimmen.

Dennoch ist gerade dieser Punkt der Regelung umstritten. Denn ist ein Mensch wirklich tot, wenn keine Hirnaktivität mehr gemessen wird, Herz und Atmung aber mittels medizinischer Geräte noch aufrecht erhalten werden können? Wissenschaftler warnen, das Erlöschen der Hirnfunktion als Todesursache anzusehen, sei längst widerlegt. Das Hirn müsse als gleichwertiges Organ zu anderen lebenserhaltenden Organen verstanden werden. Wenn man dieser Argumentation folgt, dann wäre ein Mensch nicht tot, wenn keine Hirnströme mehr gemessen werden können, sondern erst dann, wenn alle körperlichen Funktionen vollständig erloschen sind.

Wann kommt eine Lebendspende in Frage?

Auch dies ist durch das Transplantationsgesetz geregelt. Es erlaubt die Spende von Organen, nur unter Verwandten ersten oder zweiten Grades, zum Beispiel Eltern und Geschwistern, unter Ehepartnern, Verlobten oder unter Menschen, die sich persönlich sehr nahe stehen. So hat zum Beispiel SPD-Fraktionschef Walter Steinmeier seiner Frau eine Niere gespendet. Auch durch seine Geschichte wurde das Thema Organspende der Öffentlichkeit stärker ins Bewusstsein gerufen.

Um Missbrauch zu verhindern, prüft eine Gutachterkommission im Vorfeld, ob die Spende freiwillig erfolgt und keine finanziellen Interessen bestehen.

Welche Altersgrenzen gibt es für Organspenden?

Laut Transplantationsgesetz können Minderjährige ihre Bereitschaft zur Organspende ab dem 16. Lebensjahr erklären. Eine Einwilligung der Eltern ist nicht notwendig. Nach oben hin gibt es keine feste Altersgrenze. Entscheidend ist das biologische und nicht das kalendarische Alter. Auch die funktionstüchtige Niere eines 65-jährigen Verstorbenen kann einem Dialysepatienten wieder ein fast normales Leben schenken. Ob gespendete Organe oder Gewebe für eine Transplantation geeignet sind, kann erst im Fall einer tatsächlichen Spende medizinisch geprüft werden.

Wo kann man sich ausführlich über Organtransplantationen informieren?

Weitere Informationen zur Organspende erhalten Sie bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder beim Infotelefon Organspende unter der gebührenfreien Telefonnummer 0800 / 90 40 400. Informationen bekommen Sie auch bei Ihrer Krankenkasse. Durch Infobroschüren und im Internet wollen die Kassen künftig noch ausführlicher informieren.

Im Transplantationsgesetz wurde zudem festgelegt, dass es in den rund 1400 Kliniken mit Intensivstationen je einen Transplantationsbeauftragten geben muss, der unter anderem die Angehörigen potenzieller Spender beraten soll.