Interview

Interview zur Auslieferung Assanges "Binnen 60 Tagen wird entschieden"

Stand: 08.12.2010 21:33 Uhr

Dem WikiLeaks-Gründer Assange droht wegen Vergewaltigungsvorwürfen die Auslieferung nach Schweden. Kann er sich dagegen wehren? Und wie begründet ist seine Furcht vor einer anschließenden Auslieferung in die USA? Darüber hat tagesschau.de mit dem Prof. Martin Heger, Experte für internationales Strafrecht an der Humboldt-Universität Berlin, gesprochen.

tagesschau.de: Ob Assange an Schweden ausgeliefert wird, entscheidet nun die britische Justiz. Was sind die Kriterien für eine Auslieferung an Schweden?

Prof. Dr. Martin Heger: Im Prinzip gibt es keine inhaltlichen Kriterien, es muss ein wirksamer europäischer Haftbefehl vorliegen. Dieser muss formal in Ordnung sein: Das heißt, es muss beispielsweise geprüft werden, ob es die Person ist, die in dem Haftbefehl benannt ist, in diesem Fall Assange. Der Haftbefehl ist dann wirksam, wenn darin eine sogenannte Katalogtat aufgezählt ist. Eine solche Katalogtat ist zum Beispiel Vergewaltigung. In dem Haftbefehl wird nur angeführt, dass die bezeichnete Person einer Vergewaltigung in Schweden verdächtig ist und deswegen gesucht wird. Das genügt. Es wird noch kurz der Sachverhalt dargestellt, den muss Großbritannien aber nicht prüfen.

tagesschau.de: Wie geht es jetzt weiter?

Heger: Bei einem europäischen Haftbefehl ist grundsätzlich vorgesehen, dass über die Vollstreckung innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der gesuchten Person entschieden wird. Wenn diese Entscheidung erfolgt ist, soll binnen zehn Tagen die Überstellung, in diesem Fall an Schweden, erfolgen. Das Prozedere wird also maximal zweieinhalb Monate dauern.

tagesschau.de: Assange hat angekündigt, sich gegen die Auslieferung an Schweden zu wehren. Welche Möglichkeiten hat er?

Heger: Assange kann sich nur sehr eingeschränkt dagegen wehren, weil im Prinzip die rechtliche Bewertung allein eine Sache des schwedischen Rechts ist und diese Bewertung den schwedischen Behörden zusteht. Das heißt: Ob es eine Vergewaltigung ist und diese tatsächlich vorgelegen hat, und ob es dafür genug Indizien gibt, das richtet sich nach schwedischem Recht und ist allein durch die schwedische Justiz zu überprüfen, dafür wird er ausgeliefert.

Zur Person

Martin Heger ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, europäisches Strafrecht und neuere Rechtsgeschichte an der Humboldt Universität in Berlin.

tagesschau.de: Und wie würde es dann in Schweden mit Assange weitergehen?

Heger: Er würde zunächst verhört werden, aber spätestens danach wird es zu einer Anklage und dann zu einem Strafverfahren kommen. Wenn sich aber in der Anhörung erweist, dass das alles Unsinn ist, dann wird es natürlich nicht zu einem Prozess kommen.

tagesschau.de: Ist die Definition von Vergewaltigung in Schweden eine andere als bei uns oder in anderen EU-Ländern?

Heger: Der Begriff der Vergewaltigung ist in den verschiedenen EU-Ländern stark unterschiedlich ausgeprägt. In Schweden ist er schärfer formuliert als etwa in Deutschland. Man wirft Assange vor, Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, der gegen den Willen der beiden betroffenen Zeuginnen ungeschützt war. Das wäre in Deutschland nicht ohne weiteres als Vergewaltigung strafbar. Dafür wäre zum Beispiel erforderlich, dass er Gewalt oder Drohungen eingesetzt hätte oder die Lage des Opfers ausgenutzt hätte. Dafür spricht aus meiner Sicht aber in diesen Fällen nichts.

tagesschau.de: Assange vermutet eine Kampagne der US-Regierung dahinter. Er befürchtet eine Auslieferung von Schweden an die USA. Auf welcher Grundlage könnten die USA eine Auslieferung Assanges von Schweden beantragen?

Heger: Die USA könnten eine Auslieferung nur dann beantragen, wenn es überhaupt ein Strafverfahren in den USA gibt. Davon ist mir bislang nichts bekannt. Gibt es keine Strafverfolgung, kann man auch keine Auslieferung verlangen. Zudem setzt es voraus, das es zwischen den entsprechenden Staaten eine Vereinbarung über die Auslieferung gibt. Das ist aber nicht so einfach wie ein europäischer Haftbefehl. Hier kommt es beispielsweise darauf an, ob das Geschehen, was die USA ihm dann vorwerfen würden - wenn sie überhaupt da eine Strafnorm finden - auch in Schweden strafbar ist. Normalerweise ist nur dann eine Auslieferung möglich.

tagesschau.de: Also könnten die USA Assanges Auslieferung nicht allein auf der Grundlage der Veröffentlichung von US-Geheimdokumenten durch WikiLeaks beantragen?

Heger: So einfach ist das sicher nicht. Zum einem müsste man ihm persönlich eine Straftat vorwerfen, nicht bloß WikiLeaks. Zum zweiten müsste man überprüfen, ob das, was man dem Portal dann vorwirft - also das Veröffentlichen amerikanischer Geheimdokumente - , überhaupt eine Straftat darstellt. Das ist aus meiner Sicht nicht gesagt.

Die Fragen stellte Kristina Görlitzer, tagesschau.de