Kooperation der Sicherheitsbehörden Woran der gemeinsame Anti-Terror-Kampf scheitert

Stand: 23.03.2016 16:41 Uhr

Über europäische Islamisten existieren viele Informationen. Nur beim Austausch hapert es. Möglichkeiten gäbe es reichlich, allein der Wille fehlt. Experten sehen dafür einen einfachen Grund, der derzeit nicht zu überwinden sein dürfte.

Fast reflexartig fordern Politiker nach Terroranschlägen härtere Gesetze oder neue Institutionen. Das ist nach den Attentaten in Brüssel anders. Innenminister Thomas de Maizière verlangte als Reaktion stattdessen eine bessere Verknüpfung von bislang getrennten "Datentöpfen".

Hinter der verschwurbelten Formulierung verbirgt sich wohl auch die Einsicht, dass eine bessere europäische Zusammenarbeit nicht an Gelegenheiten, sondern an mangelnder Bereitschaft scheitert. Denn tatsächlich arbeiten Polizei und Geheimdienste in Europa seit den 1970er-Jahren innerhalb verschiedener Institutionen zusammen. Doch offenbar, so zeigen die jüngsten Terroranschläge, ist die Zusammenarbeit lückenhaft.

Europol-Mitarbeit ist freiwillig

Deshalb gründete das Europäische Polizeiamt Europol im Januar sein "European Counter Terrorism Centre" (ECTC). 40 bis 50 Spezialisten sollen beim ECTC Informationen über Terroristen zusammentragen und auswerten - auf einer eigenen Plattform. Dazu werden bereits existierende Abteilungen fusioniert. Etwa die Kontaktstellen "Hydra" und "Travellers", in der Europol Daten über "ausländische terroristische Kämpfer" speichert. Auch die Finanzströme von Terroristen sollen sichtbar werden. Geleitet wird das Zentrum von Manuel Navarrete Paniagua, einen Polizeioffizier der spanischen Guardia Civil, der laut Europol "weitreichende praktische Erfahrung in der Terrorismusbekämpfung hat".

Doch der Plan funktioniert nur, wenn die Mitgliedsstaaten liefern. Eine Verpflichtung gibt es jedoch nicht, denn wie der gesamte Bereich der inneren Sicherheit ist die Terrorabwehr eine nationale Domäne.

Darin steckt ein Teil des Problems, meint Hans-Georg Ehrhart. "Je mehr ich kooperiere, umso schwieriger ist es, die eigene Sache voranzutreiben", sagt der Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg im Gespräch mit tagesschau.de. Machtfragen spielten eine wichtige Rolle, aber auch die Tatsache, dass es sich um den "sensibelsten aller Kooperationsbereiche" drehe. Vizekommissionspräsident Frans Timmermans drückte es jüngst so aus: Unter den Mitgliedsstaaten gebe es ein gewisses Misstrauen, ob Informationen "sicher in den Händen meiner Freunde sind".

Welche Datenbanken existieren in der EU?

Laut Innenministerium zählt Deutschland zu den Hauptzuliefern zu den Europol-Datenbanken. Demnach existieren in Europa im Bereich Reise, Migration und Sicherheit verschiedene zentrale Datenbanken. Das Schengener Informationssystem SIS, das Visa-Informationssystem VIS und Eurodac, die unterschiedliche Einzelinformationen enthalten. Weitere Systeme wie die Fluggastdatenspeicherung (Passenger Name Records, PNR) und ein Ein-Ausreise-Register (Entry-Exit-System, EES) sind in Planung.

"Geheimdienste kooperieren nur, wenn sie etwas bekommen"

Für den CDU-Innenexperten Armin Schuster steht fest, dass der Informations- und Datenaustausch in Europa in einem "widerlichen Zustand" ist. "Würden alle 18 Schengen-Staaten, wie seit langem vereinbart, den Datenabgleich so pflegen wie Deutschland, wäre die Trefferquote bei Polizeikontrollen weitaus höher", sagt der Innenpolitiker. Einige Länder, wie etwa Griechenland, stellten in die Datenbank gar nichts ein, kritisiert Schuster und verweist auf die Reisetätigkeit von Terroristen.

Guido Steinberg, Sicherheitsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sieht den deutschen Beitrag deutlich kritischer. "Wir haben schwache Nachrichtendienste und ein föderales System, das nicht funktioniert", kritisiert er. "Auch unsere Sicherheitsbehörden haben darin versagt haben zu verhindern, dass Hunderte junge Leute nach Syrien gehen."

Die Schwäche einzelner Dienste wiegt in Zeiten schlechter Zusammenarbeit noch schwerer. Deshalb haben die 28 EU-Mitglieder plus Norwegen und die Schweiz die "Counter Terrorism Group" (CTG) gegründet. Von dem Geheimdienst-Gremium versprechen sie sich eine effektivere Terrorabwehr. In Kürze soll in Den Haag ein Hauptquartier errichtet werden, um "operative Erkenntnisse" zu islamistischem Terror auszutauschen. Das geht wie aus der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung hervor.

Doch die "Geheimdienste kooperieren nur, wenn sie etwas bekommen", warnt Sicherheitsexperte Erhart vor zu großen Erwartungen. Ähnlich skeptisch ist auch Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Linken. Er habe "keine Hoffnung, dass die Appelle mit Leben gefüllt werden", sagt er im tagesschau.de-Interview. Geheimdienste hätten nun einmal eine nationale Agenda. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 habe es "mehr als 230 neue Anti-Terror-Verordnungen in der EU" gegeben. Evaluiert worden seien diese Maßnahmen bisher nicht, "doch ich fürchte, die Bilanz würde nicht positiv ausfallen", sagt Hunko.

Guido Steinberg, Stiftung Wissenschaft und Politik, zu den Anschlägen von Brüssel

ARD-Morgenmagazin 07:30 Uhr

ECTC und CTG sollen nicht zusammenarbeiten

Für Sicherheitsexperte Erhart liegt der mangelnde Austausch an einem einfachen Grund. Bei der EU-Zusammenarbeit gegen Terroristen gebe es zwar eine "unity of purpose, aber keine unity of command". Will sagen: Keiner gibt den Ton an. Dass sich daran bei der derzeitigen Situation der EU schnell etwas ändern könnte, glaubt auch er nicht.

Wie wenig Wille zur Kooperation besteht, zeigt sich auch an der Architektur der beiden jüngsten europäischen Initiativen zur Terrorbekämpfung. Denn zwischen dem ECTC und der CTG soll es laut Bundesregierung keine "direkte Zusammenarbeit" geben.