Der leere Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Brüssel.

EU-Parlament nach Brexit Können die Sessel der Briten weg?

Stand: 12.09.2017 11:25 Uhr

Mit dem Austritt der Briten aus der EU werden 73 Polstersessel im EU-Parlament frei. Sie könnten entfernt und damit das Parlament verkleinert werden - oder aber mit Volksvertretern anderer EU-Länder besetzt werden.

Vor jeder Europawahl wird diskutiert, welches Land wie viele Sitze im EU-Parlament bekommt: Die EU-Abgeordneten machen Veränderungsvorschläge; der Rat, also die Ländervertretung, muss zustimmen. Eigentlich Routine - eigentlich.

"Dieses Mal wird es komplizierter", sagt Danuta Hübner, Vorsitzende des Ausschusses für Verfassungsfragen, gemeint ist die Europawahl 2019. Der Grund: Großbritanniens EU-Austritt. Guy Verhofstadt, der Brexit-Chefverhandler für das Parlament, bringt es auf den Punkt: "Der Austritt ist angemeldet, jetzt haben die Briten zwei Jahre Zeit, zu gehen. Wir verlieren 73 britische Kollegen." Und zwar am 29. März 2019, Schlag Mitternacht.

Weg mit den Stühlen?

Was tun mit den frei werdenden Abgeordnetensitzen? Einfach streichen und die Stühle aus dem Plenarsaal entfernen? Oder die Sitze mit Volksvertretern anderer EU-Länder auffüllen?

Hübner hat einen Vorschlag erarbeitet: Das Parlament soll mit dem Brexit von bisher 750 auf 699 Sitze verkleinert werden. Unter einer Voraussetzung: "Kein Land verliert Sitze." Einige wenige Länder aber würden nach ihrem Plan welche dazugewinnen: Frankreich und Spanien jeweils vier, Italien drei, die Niederlande und Irland zwei, einige weitere Staaten je einen Sitze. Deutschland würde bei 96 Sitzen bleiben, dem Maximum.

Platz für kommende EU-Erweiterungen

Im zuständigen Verfassungsausschuss bekam dieser Vorschlag schon mal viel Applaus: Weniger ist mehr, so das Motto. Weil mehr auch keine Option ist, so der SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen. "Das würde die Öffentlichkeit nicht gut finden. Und wir schaffen auch Platz, für die nächsten EU-Erweiterungen." Allerdings hat Leinen noch einen weiteren Vorschlag - der dann doch wieder "mehr" bedeutet.

Mehr Europa nämlich, und zwar auf dem Wahlzettel: Indem man bei der nächsten Europawahl nicht mehr nur für die in der Heimat aufgestellten Kandidaten abstimmen kann, sondern auch für echte europaweite Listen, mit Kandidaten aus allen EU-Ländern. Eine nicht ganz neue Idee, sie wird schon jahrelang diskutiert - nur bisher ohne Erfolg. "Wir haben jetzt wirklich eine einmalige Chance, einen Teil der freigewordenen Sitze dafür vorzuschlagen“, so Leinen. "Der Rat wird es nicht tun, die Kommission auch nicht. Es gibt nur dieses Parlament für die Europäisierung der Europawahlen und die Bemühungen, europäische Demokratie einzuführen."

Ernsthafte Zweifel am Vorschlag

Allerdings: Es gibt ernsthafte Zweifel an dem Vorschlag, auch im EU-Parlament. Wen würden diese Volksvertreter vertreten? Ein "europäisches Wahlvolk", das es so rechtlich gar nicht gibt? Und wie wird verhindert, dass kleine EU-Länder übergangen werden? Ganz zu schweigen vom Widerstand der EU-Regierungen, so der Linken-Abgeordnete Helmut Scholz. "Wir sind da in einer Sackgasse, weil der Rat aus nachvollziehbaren, nationalen Gründen nicht bereit ist, diesen Schritt zu gehen."

Und doch scheint derzeit eine große Zahl von EU-Abgeordneten von der Idee überzeugt zu sein. Es bahnt sich also ein großer Reformstreit zwischen Europas Volksvertretern und Europas Regierungschefs an. Den die britischen EU-Abgeordneten allerdings nur noch aus der Entfernung beobachten können: Sie können eigentlich fast schon ihre Sachen packen, ihre Sitze im EU-Parlament sind Verhandlungsmasse geworden.

Sebastian Schöbel, Sebastian Schöbel, RBB Brüssel, 12.09.2017 09:55 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. September 2017 um 09:23 Uhr.