Gebäude von Nike in den Niederlanden

"Paradise Papers" Nikes unsichtbare Firma in Holland

Stand: 06.11.2017 18:59 Uhr

Der Sportartikelriese Nike macht Milliardengewinne und schleust sie mit einer trickreichen Konstruktion an der Steuer vorbei.

Von Jochen Becker, NDR

Die "Paradise Papers" zeigen erstmals im Detail, wie der Sportartikelhersteller Nike über Firmen in den Niederlanden massiv Steuern spart. Schon in den 1990er-Jahren gründete Nike dafür in Hilversum bei Amsterdam eine Reihe von Firmen. Über sie führt der amerikanische Konzern das gesamte europäische sowie Teile des Auslandsgeschäfts in Asien und Australien. Wer bei einem deutschen Händler ein Nike-Produkt erwirbt, kauft tatsächlich bei der niederländischen Nike European Operations Netherlands BV.

Nike-Logo auf einem Fußball

Die Rechte am "Swoosh" hält eine CV in den Niederlanden.

Hierhin fließt nahezu der gesamte Umsatz. Nike Deutschland tritt in diesem Firmenkonstrukt laut Geschäftsbericht nur als "Handelsagent" auf, der für seine "Vermittlertätigkeit" eine "Umsatzprovision" erhält. So verbuchte Nike Deutschland im Geschäftsjahr 2015/16 lediglich einen Umsatz von rund 76,4 Millionen Euro und zahlte darauf hierzulande bescheidene 3,8 Millionen Euro Steuern. Aus Sicht eines Konzerns, der im vergangenen Jahr weltweit rund 34,35 Milliarden US-Dollar Umsatz machte, sind das Peanuts.

In den Niederlanden profitiert Nike von überaus unternehmerfreundlichen Steuergesetzen und den internationalen Steuerabkommen des Landes. So können Umsätze, die von Unternehmenstöchtern im Ausland in die niederländische Zentrale überwiesen werden, steuerfrei verbucht werden. Und großzügige Steuervorbescheide durch die niederländischen Finanzbehörden ermöglichen es dem Unternehmen, Kosten und Gewinne zwischen mehreren Firmentöchtern so zu verrechnen, dass am Ende eine möglichst geringe Steuerlast bleibt.

Wenn zwei sich nicht einigen, freut sich Nike

Herzstück der Nike-Struktur in den Niederlanden ist eine Firma namens Nike Innovate CV. Sie ist im Besitz der Auslands-Markenrechte des Konzerns, etwa des berühmten "Swoosh"-Logos, so nennt Nike den Haken, der die Produkte ziert. Ein Großteil der Umsätze, die Nike in den Niederlanden verbucht, fließt in Form von Lizenzgebühren für die Nutzung dieser Markenrechte in die Kasse der Nike Innovate CV. Dadurch sinkt bei den übrigen Nike-Töchtern der Gewinn vor Steuern, während bei Nike Innovate CV hohe Gewinne auflaufen. Und diese Gewinne werden am Ende überhaupt nicht besteuert. Schuld ist eine Lücke im Steuerabkommen zwischen den Niederlanden und den USA.

Die CV ist eine Commanditaire Vennootschap, eine Kommanditgesellschaft: Nach niederländischem Steuerrecht sind Kommanditgesellschaften unter bestimmten Umständen nicht selbst steuerpflichtig, sondern ihre Partner, also die Eigentümer. Im Steuerjargon heißt das: Die CV ist transparent, durchsichtig. Weil die lange Kette der Partner der Nike Innovate CV irgendwann in den USA endet, müsste sich eigentlich die amerikanische Steuerbehörde kümmern. Doch die betrachtet die CV als niederländisches Unternehmen, dessen Einnahmen in den Niederlanden zu besteuern sind. Das Resultat: Die Steuerbehörden beider Länder tun so als sei die CV unsichtbar, zur Freude amerikanischer Multis wie Nike.

Grachten

Im Land der Räder können amerikanische Konzerne einfach Steuern sparen.

US-Konzerne werden bevorteilt

Ein Vorteil, den Jan Vleggeert, Professor für Steuerrecht an der Universität Leiden, als unrechtmäßige staatliche Beihilfe kritisiert. "Amerikanische Multinationals bekommen eine Vorzugsbehandlung. Sie erhalten einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten, die in anderen Ländern der EU beheimatet sind." Nike selbst äußert sich nicht zu den Details seiner Firmenkonstruktion, legt in einem knappen Statement allerdings Wert darauf, dass das Unternehmen "sämtliche Steuer-Auflagen erfüllt […], dass unsere Steuererklärungen unsere Geschäftsstrategie reflektieren, mit unseren Investments abgestimmt sind und den Arbeitsplätzen entsprechen, die wir schaffen".

Die so genannte CV-BV-Konstruktion gilt unter Experten als eine der schädlichsten Konstruktionen der Steuervermeidung. Unternehmen wie der Pharma-Konzern Pfizer, Taxi-Schreck Uber und der Nahrungsmittelgigant Kraft Heinz nutzen sie ebenfalls. Nach Recherchen des niederländischen Online-Magazins "De Correspondent" haben amerikanische Unternehmen mit Hilfe solcher Konstruktionen rund 500 Milliarden US-Dollar an Gewinnen in den Niederlanden aufgehäuft - der Großteil offenbar unversteuert. Allein bei Nike ist die Summe der Auslandsgewinne nach Unternehmensangaben innerhalb weniger Jahre auf rund 12,2 Milliarden US-Dollar angewachsen.

Wohin mit dem Geld?

Die Unternehmen stecken in einem Dilemma: Sie machen zwar satte Gewinne, wissen aber nicht wohin mit all dem Geld, das sie in ihren Offshore-Gesellschaften geparkt haben. "Die Unternehmen sind zu Banken geworden, die lieber am Finanzmarkt spekulieren, als ihr Geld in die Schaffung neuer Jobs und eine nachhaltige Wirtschaft zu investieren", kritisiert Katrin McGauran von der unabhängigen niederländischen Organisation für die Recherche zu multinationalen Unternehmen, SOMO.

Die EU will Steuerschlupflöcher wie die CV-BV-Konstruktion nun schließen. Im Mai verabschiedete sie die zweite EU-Richtlinie zur Bekämpfung der Steuervermeidung. Sie sieht vor, dass ab 2020 Schluss ist mit der CV-BV-Konstruktion. Den Unternehmen dürfte daran gelegen sein, ihre Steuervorteile trotzdem zu wahren. Die neue niederländische Mitte-Rechts-Regierung steht ihnen dabei voraussichtlich nicht im Wege: Gerade hat sie angekündigt, die Rate für die Unternehmensbesteuerung um vier Prozentpunkte zu senken.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 06. November 2017 um 20:00 Uhr.