Tschetschenien-Konflikt Brüchige Unabhängigkeit in den 1990er Jahren

Stand: 29.08.2007 00:33 Uhr

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion entwickelte sich Tschetschenien zu einer Krisenregion in Russland. Mit dem Einmarsch russischer Truppen im Winter 1994 begann der erste Tschetschenien-Krieg.

In der Mitte der 1980er Jahre nutzten einzelne tschetschenische Gruppen die Lockerungen der Perestrojka-Zeit, um für größere kulturelle Freiheiten einzutreten. Diese Gruppen wurden zur Keimzelle einer tschetschenischen Oppositionsbewegung, deren Führung 1990 der ehemalige sowjetische Luftwaffengeneral Dschochar Dudajew übernahm.

Moskau verliert Kontrolle

Als die Sowjetunion nach dem misslungenen August-Putsch 1991 zerfiel, konnte Dudajews Oppositionsbewegung die von Moskau eingesetzte lokale Parteiführung in Tschetschenien stürzen. Russland verlor die Macht über Tschetschenien. Im November 1991 rief Dudajew sogar einen unabhängigen Staat aus.

Wirtschaftlicher Verfall

In Tschetschenien ging es wie im gesamten Raum der ehemaligen Sowjetuion in den frühen 1990er Jahren wirtschaftlich bergab. Moskau verstärkte diesen Prozeß noch, indem es seine finanziellen Zuwendungen für die Kaukasusrepublik stoppte. Die Infrastruktur verfiel, Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser wurden geschlossen. Viele Menschen wurden arbeitslos und verarmten.

Gleichzeitig entwickelte sich in Tschetschenien eine ausgedehnte Schattenwirtschaft, in der einige kriminelle Banden durch Korruption, illegale Ölgeschäfte und Waffenschmuggel reich wurden. Die Regierung Dudajews schien unfähig, diese Probleme zu lösen.

Der erste Tschetschenien-Krieg

Tschetschenien geriet daher 1994 wieder stärker in das Blickfeld der Moskauer

Zentralgewalt. Die russische Führung um Präsident Jelzin beabsichtigte, die Kontrolle über die Republik wieder herzustellen. Im November 1994 beschloss sie die gewaltsame Entmachtung Dudajews.

Beim Bombardement der Stadt Grosny starben im Dezember 1994 Dutzende Zivilisten. Der russische Versuch, Grosny am Neujahrstag 1995 einzunehmen, endete in einem Desaster. Hunderte Soldaten starben. Statt eines schnellen Sieges erlitt die russische Armee eine erste schwere Niederlage. Der russischen Armee gelang es jedoch, in den folgenden Monaten große Teile der Republik unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Guerillataktik der tschetschenischen Kämpfer machte den russischen Truppen jedoch schwer zu schaffen.

Unter den kriegerischen Auseinandersetzungen litt vor allem die Zivilbevölkerung, die Opfer des brutalen Vorgehens der russischen Truppen oder spektakulärer Geiselnahmen tschetschenischer Kämpfer wurde.

Die russische Niederlage

Nach einem wechselvollen Verlauf endete der Krieg mit einer russischen Niederlage: Moskau erklärte im Sommer 1996 den Abzug seiner Truppen bis Januar 1997. Tschetschenien blieb zwar völkerrechtlich Teil der Russischen Föderation, faktisch wurde es aber unter dem neuen Präsidenten Aslan Maschadow unabhängig.

Der Krieg erwies sich aber als eine schwere Hypothek für die junge Republik. Nach Schätzungen der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial sind mehrere Zehntausend tschetschenische Zivilisten ums Leben gekommen. Das Land und die Wirtschaft lagen am Boden. Unter diesen Bedingungen gelang es Präsident Maschadow nicht, zivile Strukturen aufzubauen. Stattdessen entwickelte sich Tschetschenien am Ende der 1990er Jahre erneut zu einem Zentrum für illegale Geschäfte, erpresserische Geiselnahmen und islamistische Gruppen.

Marc Schlaphoff, tagesschau.de