Terror aus Tschetschenien Die Bräute Allahs - entführt, isoliert, missbraucht

Stand: 27.08.2007 10:10 Uhr

Julia Jusik ist 23 Jahre alt - so alt wie die meisten der fast 300 Schwarzen Witwen, die sich in den zurückliegenden zwei, drei Jahren in Russland in die Luft gesprengt haben. Die junge Journalistin ließ die Frage nicht mehr los, was ihre Altersgefährtinnen zu dieser Tat treibt. Nach dem "Nord-Ost"-Drama reiste sie nach Tschetschenien und recherchierte, wobei ihr ihre guten Drähte zum Innenministerium zu Gute kamen. Am Ende legte sie ein Buch vor: "Die Bräute Allahs". Nur: Man bekommt es nirgendwo zu kaufen.

Von Sabine Adler, Deutschlandradio-Korrespondentin, Moskau

Jusik musste erfahren, dass Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB in die Buchhandlungen gingen und deutliche Empfehlungen gaben, "Die Bräute Allahs" nicht zu verkaufen. "Wie zu Stalins besten Zeiten", sagt die junge Frau. Aber gegen den FSB zu klagen, führe, wenn es gut laufe, zu nichts. "Wenn es schlecht ausgeht, wird es für einen selbst gefährlich. Sobald man mit dem FSB zu tun hat, ist es besser, wenn man keinen Lärm schlägt."

Besuch bei den Angehörigen

Julia Jusik besuchte die Familien der Schwarzen Witwen, Freunde, Bekannte, sie fragte nach in den Ortsverwaltungen. So entstand ein Bild. Sie erfuhr, dass Witwe nicht gleich Witwe ist, dass sie sich grundsätzlich aber in zwei Kategorien einteilen lassen.

"Die eine Gruppe sind junge Mädchen von 17 bis 25 Jahren", erklärt Jusik. "Sie haben absolut kein Motiv, sich zu opfern, wobei es natürlich in Tschetschenien nicht eine einzige Familie gibt, die kein Opfer zu beklagen hatte in zehn Jahren Krieg." Diese Mädchen stammten aus Wahhabiten-Familien, in denen der Vater meist für die Terroristen tätig ist. Wenn das Mädchen keinen Vater mehr habe, sei es für die Brüder eine Frage der Ehre, sie zu opfern. "Sie rekrutieren ihre eigenen Schwestern, um ihre Wertigkeit in den Terrororganisationen zu steigern." Diese Frauen haben absolut nichts zu sagen - sie haben zu gehorchen, haben keine eigene Meinung, keinen Beruf. Sie wollen nicht sterben - aber sie werden nicht gefragt.

"Die zweite Gruppe", erklärt Jusik weiter, "sind die Unglücklichen. Sie sind 30 bis 40 Jahre alt und haben hauptsächlich Tragödien und Verluste erlebt - den Mann, die Kinder, das Haus. Ihr Leben ist ein Trümmerhaufen und sie kann man tatsächlich dazu bringen, sich dafür zu rächen." Diese Frauen ausfindig zu machen, ist für die Anwerber einfach. Sie müssen nur in die Familien gehen, in denen gerade ein Vater oder Sohn ermordet oder verschleppt wurde. Denn Frauen, die leiden oder hassen, lassen sich am leichtesten einspannen.

"Man muss sich nur an eine der vielen Menschenrechtsorganisationen vor Ort wenden", so Jusik. Deren Mitarbeiter gingen dann in die Unglücksfamilien – unter dem Vorwand, ihnen zu helfen und sie zu schützen. Anfangs würden sie helfen – mit Medikamenten oder mit Lebensmitteln. "Sie betreuen und beruhigen sie, und dann fangen sie an, ihnen klarzumachen, dass sie sich rächen müssen und werben sie an."

"Es gibt kein Schwarz oder Weiß"

Jusik macht den vermeintlichen Helfern schwere Vorwürfe: Viele Menschenrechtsorganisationen gehörten zu diesem widerlichen System, dass die Rekrutierung der Selbstmordwitwen betreibe. "Ich habe es nicht glauben können, aber heute weiß ich, dass es so ist", sagt die junge Frau. "In Tschetschenien lässt sich nicht mehr unterscheiden, wo gut und böse ist - es gibt kein Schwarz oder Weiß mehr."

Wegen ihrer guten Kontakte konnte Julia Jusik einiges erfahren – unter anderem, wie die Frauen auf das Sterben vorbereitet werden. "Dazu muss man sie aus ihrer Umgebung reißen - raus aus ihrer Familie, weg von allem, dass sie noch im Leben halten könnte." Die Frauen kämen dann in einen Kreis, in dem die Religion eine große Rolle spiele. Man beginne, sie zu brechen, "manchmal auch mit sexueller Gewalt." So sei sie dann als Ehefrau "nicht mehr vermittelbar". Den Frauen werde eingebläut, wie schlecht das Leben sei, wie der Krieg immer schlimmer werde und der Feind immer brutaler.

Die Bombe - gezündet aus der Entfernung

Julia Jusik räumt in ihrem Buch auf mit einem ständig wiederkehrenden Fehler. Nicht die Frauen sprengen sich in die Luft - in den allermeisten Fällen werden sie gesprengt. "Ihnen wird der Gürtel umgebunden und dann wird die Bombe aus der Entfernung gezündet." Dazu bräuchten sie keinerlei Ausbildung oder Vorbereitung. Man müsse ihnen noch nicht einmal den Umgang mit Waffen beibringen oder wie man einen Lkw steuert. "Eine Schwarze Witwe muss noch nicht einmal wissen, wie ein Zünder funktioniert – sie betätigt ihn nicht." Der Welt werde aber hinterher verkauft, dass sie es war, die sich in die Luft gesprengt hat. "Dabei sind die allermeisten so unschuldig wie diese Menschen in der Menge, aber das verschweigt man."

Einer der so genannten Schwarzen Witwen, Sarema Muschachojewa, gingen im Sommer vorigen Jahres kurz nach dem Anschlag auf das Rockfestival bei ihrem Auftrag die Nerven durch. Sie hielt die Stunden bis zu dem für sie geplanten Terrorakt nicht aus und verriet sich. In der Untersuchungshaft ging sie auf das Angebot für ein milderes Strafmaß ein, wenn sie bei den Ermittlungen behilflich sei. Es war ein falsches Versprechen, wie sich bei der Urteilsverkündung am 9. April dieses Jahres herausstellte. "Man verurteilte sie zu 20 Jahren Freiheitsentzug", erzählt Julia Jusik. Für sie bedeute das, dass man sie im Straflager wahrscheinlich umbringen werde. "Was für ein Fehler! Was für ein falsches Signal an die anderen Schwarzen Witwen, die es ihr vielleicht gleich getan und auch aufgegeben hätten."

"Der Geheimdienst tut das Gegenteil"

Julia Jusik ist überzeugt, dass man die Schwarzen Witwen retten und so verhindern könnte, dass wieder unschuldige Menschen sterben. Dafür müsste man das System der Anwerber und Ausbilder zerschlagen. Dazu allerdings sei nur der Geheimdienst in der Lage. "Doch der befasst sich nicht mit diesem Problem - er tut das Gegenteil." Die Geheimdienstler würden die Namen der Werber kennen. "Sie wussten, wer die Frauen für Nord-Ost angeworben hat, aber niemand wurde festgenommen, inhaftiert oder vernommen, um zu erfahren, wer mit unter dieser Decke steckt."

Im Gegensatz zu den in den Bergen versteckten Kämpfern spielt sich die Vorbereitung der Frauen mitten in den Städten ab - in Tschetschenien, vor allem aber in Inguschetien. In Nasran, Karabulak, Magas, in ganz normalen Wohnhäusern. Die Schwarzen Witwen führen ihren Bewachern den Haushalt, bekochen und müssen ihnen zu Diensten sein - bis zuletzt. "Für die Anwerber", so Jusik, "gibt es spezielle Ausbildungslager in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku." An der Tür sei natürlich nicht zu lesen "Zentrum für die Ausbildung Schwarzer Witwen", sondern irgendein unverfänglicher Name - "Islamisches Institut" zum Beispiel.

Julia Jusik sagt, dass die Arbeit an diesem Buch sie reifen ließ. Sie sei ernster und erwachsener geworden. Wer sie sieht, die blonde Moskauer Schönheit, die ebenso gut als Model arbeiten könnte, kann sich kaum vorstellen, dass sie sich monatelang ausschließlich mit den Hintergründen des gegenwärtigen Mordens und Sterbens in Russland beschäftigt hat. "Nach all dem konnte ich nicht mehr in die Redaktion zurückkehren. Ich konnte nicht mehr Belangloses schreiben und folgsam die Befehle erfüllen, die uns Journalisten in Russland erteilt werden. Alle Medien sind unter der Fuchtel des Kremls. Ich stellte mir vor, dass ich die Schwarzen Witwen in meinen Artikeln nun wieder als Abschaum bezeichnen müsste - das konnte ich nicht."