Der Küstenort Biloxi nach dem Hurrikan "Über allem liegt eine gespenstische Stille"

Stand: 26.08.2007 08:26 Uhr

Das Elend, das der Hurrikan "Katrina" in New Orleans verursacht hat, dominiert zurzeit die Berichterstattung. Aus den kleineren Orten an der US-Golfküste hört man kaum noch etwas. Dabei ist die Situation dort kaum weniger dramatisch. Der ARD-Hörfunkkorrespondent Georg Schwarte war in Biloxi - hier seine Eindrücke vom 1. September 2005.

"Stellen Sie sich das Schlimmste vor und damit haben Sie die Situation in ihrer Dramatik noch nicht erfasst", sagt ARD Hörfunkkorrespondent Georg Schwarte. Er kommt gerade aus Biloxi, jenem kleinen US-Küstenort, den „Katrina“ nahezu dem Erdboden gleich gemacht hat. „Es sieht dort aus wie nach einem Bombenangriff“, schildert er. Nur wenige größere Betongebäude sind stehen geblieben, auch sie schwer beschädigt. Der Rest der Stadt gleicht einer Trümmerwüste. Die Straßen sind übersät mit Schutt. Dazwischen finden sich die Spuren des Alltags vor der Katastrophe: Persönliche Fotos, Teile von Akten, Kinderspielzeug.

Gespenstische Stille über dem Chaos

Und über allem liegt eine gespenstische, unwirkliche Stille, so Schwarte. Der Verkehrslärm, dieses sonst so allgegenwärtige Zeichen der Zivilisation, es fehlt fast völlig. Nur einige wenige Bergungsfahrzeuge kämpfen sich voran. Die meisten Autos sind so zerstört wie der Rest des Orts und Benzin gibt es nicht mehr. Dazu liegt beißender Verwesungsgeruch in der Luft. Er stammt von den verendeten Fischen und Seevögeln, die in der Straßen liegen. Aber auch von Menschen. Häuser, in denen bereits Leichen gefunden wurden, tragen rote Markierungen.

Und die Überlebenden? Es sind in diesem, wie in den anderen Orten, die „Katrina“ gebeutelt hat, vor allem die Armen, Alten und Kranken. Überwiegend Schwarze. Menschen, die nicht die Möglichkeit hatten, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Wer noch ein Dach über dem Kopf hat, wie jene Frau, die dem Journalisten davon berichtet, wie sie auf ihrer Spüle kauernd, die Flutwelle in ihrer Küche kommen und gehen sah, kann sich glücklich schätzen. Wer ein paar Lebensmittel retten konnte ebenso. Die meisten hat es härter getroffen.

Durchhalten auf Trümmern

Sie haben nur noch Bruchstücke ihrer Existenz und sie sitzen darauf buchstäblich fest. Sie können die Stadt nicht verlassen, weil es keine Transportmittel gibt, und inmitten der Trümmer wissen die meisten nicht wohin. Noch gibt es keine zentralen Sammelstellen für Obdachlose, berichtet Schwarte und die Organisatoren sind kaum in der Lage für schnelle Abhilfe zu sorgen. Auch ihnen fehlt es am nötigsten, erklärt er. Das ist in erster Linie Kraftstoff. Noch wird das Netz für Mobiltelefone mit Hilfe von Dieselgeneratoren in Gang gehalten. Doch wenn es nicht bald Nachschub gibt, könnte auch dieser immens wichtige Teil der Infrastruktur zusammenbrechen. Wie den Menschen dann koordiniert geholfen werden soll, ist unklar. So wächst die Angst.

Drei Beutel Eis für jeden

An diesem Donnerstag gab es zumindest erste Hilfslieferungen. Unter anderem erhielten die Menschen Eis, um die knappen Lebensmittel am Verrotten zu hindern. „Drei Beutel für jeden“, berichtet Schwarte, „das war die Regel“. Doch nicht alle wollten sich damit zufrieden geben, so kam es zu Auseinandersetzungen. Zwar hat das Faustrecht in Biloxi noch nicht die Herrschaft übernommen, wie dies offenbar in weiten Teilen New Orleans der Fall ist. Aber die Verzweiflung wächst auch hier.

"Wenigstens haben wir uns!"

Wenn sie die Flugzeuge und Helikopter sehen, die nach New Orleans unterwegs sind und Biloxi und sein Elend unter sich liegen lassen, bricht sich die Wut der Leute ihre Bahn. „Sagen Sie Bush, seine Regierung hat versagt!“, rufen einige Schwarte zu, als könnte er die Rettungsmaßnahmen auf diese Weise beschleunigen. Tatsächlich wird es davon abhängen, wie schnell es gelingt, ausreichend Hilfs- und Bergungstrupps in den Ort zu bringen und das Leben wieder in eine erste provisorische Ordnung zu bringen, ob der Biloxi ebenso im Chaos versinkt wie New Orleans. Wieviel Zeit dafür bleibt, lässt sich schwer prognostizieren. Eins jedenfalls scheint klar: So gelassen, wie das junge Paar, das alles verloren hat, dem deutschen Korrespondenten aber stolz seine sechs Monate alte Tochter zeigt und lächelnd sagt: „Wenigstens haben wir uns!“, sind nicht alle.

Mit Georg Schwarte sprach Antje Matthies, tagesschau.de