Reportage aus Nordkorea Durch Panzersperren ins Wirtschaftswunder

Stand: 25.08.2007 16:19 Uhr

Eine Woche lang konnten die ARD-Korrespondenten Mario Schmidt (Fernsehen) und Martin Fritz (Hörfunk) Nordkorea bereisen. In dem ansonsten von der Außenwelt abgeschotteten Land erhielten sie zu vielen Bereichen einen exklusiven Zugang. In Kaesong an der Grenze zu Suedkorea erleben die Reporter, wie sich die beiden jahrzehntelang verfeindeten Staaten näher kommen.

Von Mario Schmidt und Martin Fritz, ARD-Korrespondenten

Das Volk ist auf den Beinen. Zu Füßen des toten aber allgegenwärtigen Staatsgründers Kim Il Sung beginnt der Tag wie immer fast autofrei. Wir sind in Kaesong wenige Kilometer entfernt von der schwerbewachten Grenze zu Südkorea. Eine Militärstadt: Die 300.000 Einwohner sind durch mehrere Kontrollposten vom Rest des Landes getrennt.

Gegen 6.30 Uhr plötzlich Motorenlärm, Hupen und Farbtupfer im tristen Einheitsgrau. Blaue südkoreanische Busse rollen seit kurzem morgens durch die Stadt: eine Karawane Richtung Kapitalismus. Dicht gedrängt werden so mehr als 5000 Nordkoreaner jeden Tag in eine Sonderwirtschaftszone nahe der Grenze gebracht.

Wir fahren hinterher, begleitet von zwei Aufpassern. Dreharbeiten und Interviews sind wie in ganz Nordkorea nur eingeschränkt möglich. Hier ist der Kalte Krieg noch nicht zu Ende. Unterwegs sehen wir Panzersperren, die im Ernstfall gesprengt werden und so die Strassen blockieren sollen.

Durch Panzersperren in die Sonderwirtschaftszone

Dann tauchen im Dunst moderne Fabriken auf. Das ist immer noch Nordkorea, aber eine andere Welt. Die Menschen aus den Bussen arbeiten hier für südkoreanische Unternehmen. Kleidung, Schuhe, Autoteile: Der Industriepark ist das neue Symbol für die Annäherung der beiden Länder - und ein Geschäft. Der Mindestlohn beträgt nur 57 US-Dollar im Monat. Zuhause müssten die südkoreanischen Firmen viel mehr zahlen. Außerdem: 48-Stunden-Woche, keine Gewerkschaften. Und das nordkoreanische Regime erhält dringend benötigte Devisen, weil es den Großteil der Löhne einkassiert.

Wieviel für die Arbeiter übrig bleibt, dürfen diese nicht sagen. Die regimetreuen Antworten klingen wie vorher eingetrichtert. "Das ist die Geburtsstunde der Einheit", wiederholt eine Frau die nordkoreanische Propaganda: "Meine Familie ist froh, dass ich hier arbeite, denn ich helfe mit, den Wiedervereinigungsplan unseres geliebten Führers zu verwirklichen."

Die Verheißungen des Südens

Kapitalismus unter den Augen von Diktaor Kim Jong Il. Ein heikles Projekt für die Steinzeitkommunisten in Pjöngjang, die ihr verarmtes Volk seit Jahrzehnten von der Außenwelt abschotten. Doch in der Industriezone sehen Nordkoreaner, was der Süden alles hat: 24-Stunden-Supermärkte mit gut gefüllten Regalen zum Beispiel.

Bis Ende des nächsten Jahres sollen hier 15.000 Menschen aus Kaesong für südkoreanische und internationale Firmen arbeiten. Und dann soll es weitergehen, bis die ganze Stadt eine Sonderwirtschaftszone ist mit über 500.000 Beschäftigten ist.

Südkoreas politische Hintergedanken lassen sich in eine Formel gießen: Wandel durch Handel. Seoul greift der Wirtschaft im Norden unter die Arme und fördert Kontakte zwischen den Menschen. Denn für eine schnelle Wiedervereinigung ist das Wohlstandsgefälle zwischen den seit 50 Jahren getrennten Landesteilen viel zu groß: Die Einkommen im Süden sind derzeit zehn Mal höher als im Norden. Enklaven wie die Industriezone Kaesong sollen dabei helfen, den Abstand zu verringern.

Wenn Geld fließt, ist die Ideologie für Nordkoreas Funktionäre zweitrangig – trotz Führer, Hammer und Sichel auf der Brust. "Dort wird zwar nach kapitalistischen Methoden gefertigt, aber darum geht es gar nicht", erläutert Jong Yong Chol vom Volkskomitee Kaesong: "Die Industriezone unterstützt die Vertrauensbildung zwischen dem Norden und dem Süden und damit die Wiedervereinigung. Wichtig ist, dass Nord und Süd gemeinsam die Wirtschaft aufbauen."

Noch rollen allein die Ochsenkarren

Die Industriezone ist einer der wenigen Hoffnungsschimmer im maroden Nordkorea. Energiemangel, keine Ersatzteile, und die staatlichen Lebensmittelrationen machen kaum satt - so sieht der nordkoreanische Alltag sonst aus. In den nächsten Tagen müssen aus den Städten Hunderttausende auf die Felder, um den landwirtschaftlichen Kooperativen beim Reissetzen zu helfen. Die Menschen bepflanzen jeden Quadratzentimeter Erde, bis heran an die Straßen - aus Angst vor der nächsten Hungersnot.

Nicht weit entfernt liegen eine Bahnlinie und eine Straße. Beide führen durch die verminte Grenze. Bald sollen hier Züge und Busse von Südkorea in den Norden rollen mit Waren und 1000 Touristen pro Tag. Die sollen am Anfang nur ein paar Stunden bleiben, später auch länger. Noch sieht man Ochsenkarren, wo in einigen Jahren ein Golfplatz und Hotels für die Gäste aus dem Süden stehen sollen.

Kaesong ist im Korea-Krieg nicht zerstört worden, und daher touristisch attraktiv. Die Altstadt ist mehr als 100 Jahre alt. Vom Boom an der Grenze ist hier noch nichts angekommen – nur die Hoffnung, dass sich der Alltag im sogenannten Arbeiterparadies bald bessern wird.

Der laut Propaganda wie ein Gott verehrte Staatsgründer lächelt überall – diesmal vor dem Folklore-Hotel, dem besten Haus der Stadt. Auch hier müssen die Gäste wegen Energiemangel oft bei Kerzenlicht sitzen. Noch hat das Mobilar Ostblock-Charme, aber ein Südkoreaner investiert hier eine Million Euro in den Ausbau für den erhofften Ansturm der Touristen. "Bisher können bei uns 250 Menschen essen und 80 übernachten", sagt dessen nordkoreanische Manager Ju Chon Hu: "Wir bauen aber gerade ein weiteres Gebäude, damit wird die Zahlen verdoppeln können."

Wirtschaftliche Bewegung ohne politischen Wandel

Nordkorea bewegt sich wirtschaftlich, politisch bleibt das Regime standhaft. Kritik führt ins Arbeitslager. Keine Handys, kein Internet - der Staat kontrolliert jeden Bereich im Leben seiner Bürger.

Unsere letzte Station: Beide Länder haben auf Ruinen gemeinsam einen buddhistischen Tempel wieder aufgebaut - als Pilgerstation für die künftigen Touristen. Bislang kommen nur vereinzelte Nordkoreaner. Religionsgemeinschaften fristen im Land ein Schattendasein und werden nur geduldet, wenn Kim Il Sung und Kim Jong Il als die eigentlichen Götter anerkannt werden. Die Wiedervereinigung wird wohl noch lange auf sich warten lassen - aber immerhin: In Kaesong könnte ihr Grundstein liegen.