Ein Blick aus Sderot auf den Gazastreifen.
reportage

Sderot in Israel Geisterstadt am Grenzzaun

Stand: 31.10.2023 02:44 Uhr

Die israelische Stadt Sderot liegt an der Grenze zum Gazastreifen. Das Grauen des Krieges ist hier ganz nah. Die wenigen verbliebenen Einwohner eint seit dem Terrorangriff der Hamas die Angst - und große Wut.

Wer einen Eindruck bekommen will, wie sich der Krieg anhört und wie er aussieht - der muss erst einmal marschieren. Es geht über dorniges Gestrüpp auf einen Hügel. Zum Grenzzaun nach Gaza ist es Luftlinie nicht einmal ein Kilometer. Oben angekommen hört man das Grauen des Krieges, und man sieht es.

Dem Knall des Artilleriefeuers und der Angriffsflüge der israelischen Luftwaffe folgen schwere Detonationen im Gazastreifen. Weißer, manchmal dunkler Rauch zeigt sich am Horizont.

Rückkehr ins Ungewisse

Die Panzer unmittelbar hinter dem Zaun wirbeln mächtig Staub auf bei ihrem Vorrücken Richtung Gaza-Stadt. Und immer kommt einem der Gedanke: Wie mag es den Menschen auf der anderen Seite des Grenzzauns ergehen? Wie stehen sie dieses Kriegsgrauen durch?

Der Hügel, der diesen unverstellten Blick auf den Krieg ermöglicht, liegt am Stadtrand von Sderot, einer Geisterstadt. Sderot wurde schon früh evakuiert; der Großteil der Bevölkerung ist aus Sicherheitsgründen zu Angehörigen gezogen, viele wurden in Eilat am Roten Meer in Hotels untergebracht.

Auch Emmy Tsefania flüchtete aus Sderot, nun kehrt sie zurück. "Es ist nicht einfach, nach diesem schwarzen Samstag in die Stadt zurückzukehren", sagt sie. "Für mich ist es das erste Mal, dass ich wieder in der Stadt bin. Mein Mann flehte mich an, zurückzukehren. Er sagte mir, ich solle keine Angst haben und er würde immer in meiner Nähe bleiben." Sie könne sich vorstellen, dass alle diese Angst hätten zurückzukommen. "Ich weiß nicht, was geschehen wird. Das kann niemand sagen."

Die Wut ist groß

Emmy und ihr Mann Itzhak stehen auf dem Hügel und blicken hinüber nach Gaza. Scheinbar einen Steinwurf nur entfernt - doch es ist eine ganz andere Welt.

Es ist nicht einfach hier zu sein und all die Detonationen zu hören, aber wie sagt man? Sie haben den Ärger gesucht. Letztendlich sind wir unschuldig. Wir haben nichts gemacht. Sie haben uns angegriffen.

Die Wut ist groß nach dem Terrorangriff vom 7.Oktober. Itzhak Tsefania, Emmys Mann, redet sich in Rage. Viele von denen, die sich an dem Massaker beteiligt hätten, seien Zivilisten gewesen, sagt er. Man könne das gut auf den Videos erkennen. "Es waren Zivilisten, die rüberkamen und mit bloßen Händen gemordet haben. Es ist nicht nur die Hamas. Sie alle dort sind Hamas. Allesamt", sagt er.

Nichts ist mehr so wie es war

Die Hamas soll ausgelöscht werden - das ist das von der israelischen Regierung erklärte Ziel dieses Krieges. Ein Krieg, den man von diesem Hügel aus erschreckend nah erlebt. Davon macht auch Itzhak Stefania es abhängig, ob seine Familie auch künftig in Sderot leben wird. "Wenn die Hamas nicht mehr sein wird, dann kehren wir hierher zurück" sagt er. "Wenn die Hamas weiter existiert, dann ziehen wir uns ins Landesinnere zurück."

Emmy und ihr Mann Itzhak blicken noch einmal auf den geschundenen Gazastreifen, hören die schweren Detonationen und gehen zurück in die Geisterstadt Sderot. Nichts ist hier mehr so wie es war - auf beiden Seiten des Grenzzaunes.  

Karte: Sderot, Israel, und Gaza-Streifen

Sderot liegt in unmittelbarer Nähe zum Gazastreifen. Bei den Terrorangriffen der Hamas im Oktober 2023 wurden in der Stadt Dutzende Menschen getötet.

Julio Segador, ARD Tel Aviv, tagesschau, 30.10.2023 19:35 Uhr