Eine Frau legt in einem Wohnzimmer eines älteren Mannes eine Decke zusammen

Spanien Gleichberechtigung - aber nicht für alle

Stand: 08.03.2024 03:46 Uhr

Die Spanierinnen sind stolz auf ihre feministischen Errungenschaften. Aber eine Gruppe von Frauen profitiert kaum davon: die "Internas", Hausangestellte, die bei den Familien wohnen, für die sie arbeiten.

Als Soledad Lucero Toapanta ihre Heimat Ecuador verließ war sie 23, ihr Sohn Diego nicht einmal ein Jahr alt. Soledad wollte in Spanien schnell Geld verdienen, um später in Ecuador ein besseres Leben führen zu können. Aber es kam anders. "Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich nicht zurückkommen würde", sagt Soledad heute. "Ich war am Boden zerstört, dass ich meinen sieben Monate alten Sohn dort gelassen hatte, um mich hier - wie eine Mutter - um ein anderes Baby zu kümmern."

Soledad, eigentlich Psychotherapeutin, fand zunächst mangels Arbeitserlaubnis nur Jobs als "Interna", als Hausangestellte also, die bei ihren Arbeitgebern wohnt und Kinder oder Alte pflegt. Arbeit rund um die Uhr, vielfach schlecht bezahlt.

Manchmal habe sie gar nicht mehr gewusst, welcher Tag es war, sagt Soledad rückblickend. Sie habe sich kaum getraut, zwischendurch mal etwas zu essen. Nie vergisst sie den Tag, als bei ihrem ersten Job als "Hausmädchen" in Madrid plötzlich ihr Koffer vor der Tür stand, ihre Arbeitgeber waren umgezogen.

Trotzdem nahm Soledad weitere "Interna"-Jobs an. Aber je länger sie blieb, umso klarer sei ihr geworden, dass sie aussteigen will.

Mittlerweile lebt Soledad in Nordspanien, hat eine Beratungsstelle für Migrantinnen gegründet, hilft denen, die aktuell unter schlechten Arbeitsbedingungen als "Interna" leiden. Was sie von ihnen höre, sei noch immer schlimm. "Viele werden sexuell belästigt. Wenn du 'Interna' bist, meinen sie, sie könnten Dir einfach so an den Arsch fassen."

Situation der sogenannten "Internas" in Spanien

K. Böker/M.-K. Boese, ARD Madrid, Weltspiegel, 25.02.2024 18:30 Uhr

Kein Arbeitsvertrag ohne Papiere

Etwa 370.000 Menschen arbeiten offiziell in Spaniens Haushalten, 40.000 davon als "Internas", die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Denn wer sich auf schlechte Interna-Bedingungen einlässt, hat meist keinen Arbeitsvertrag.

Migrantinnen können nach drei Jahren eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, wenn sie nachweisen, dass sie in dieser Zeit in Spanien gelebt und gearbeitet haben. Danach könnten sie einen regulären Vertrag bekommen - wenn die Familien, die Arbeitgeber, mitmachen.

Die Hilfsorganisation "Oxfam Intermon" kämpft in Spanien seit Jahren für mehr Rechte für den kompletten häuslichen Pflegesektor. Das sei ein außerordentlich prekärer Bereich, sagt  Raquel Checa Rubio, verantwortlich für das Referat für soziale Benachteiligung. 

Rund 15 Prozent der Pflegerinnen und Pfleger lebten in Armut, mit weniger als 16 Euro am Tag. Und neun von zehn "Internas" seien Ausländerinnen. Das Problem dahinter: Der Staat gebe zu wenig Geld für Pflege und Kinderbetreuung aus.

Eine Frau bereitet Essen in einer Küche zu

Jamileth ist eine von vielen "Internas" - sie bezeichnet die Arbeitsbedingungen als "moderne Sklaverei".

Hohe Beschäftigungsquote - und viele "Internas"

Und das, obwohl die Spanierinnen stolz auf ihre emanzipierte Gesellschaft sind. Knapp 79 Prozent der Spanierinnen arbeiteten 2022 in Vollzeit, in Deutschland nur rund 53 Prozent. Und auch bei Frauen in Führungspositionen ist Spanien mit knapp 35 Prozent vor Deutschland, wo laut Eurostat 2022 Frauen rund 29 Prozent der Chefpositionen innehatten.

Dass viele Kinder spanischer Frauen von lateinamerikanischen Hausangestellten betreut werden, ist tagtäglich auf den Spielplätzen der Oberschicht-Stadtteile Madrids zu sehen: So manche, die dort mit "ihren Kindern" den Vormittag verbringen sind "Internas", der Spielplatz eine der raren Gelegenheiten für Kontakt zur Außenwelt.

Soledad hat auch in einem solchen Viertel gearbeitet: Es sei ein Triumph für die Frauen, dass sie heutzutage bessere Jobs haben als früher. Aber ohne die Hausangestellten könnten viele berufstätige Spanierinnen ihren Job nicht ausüben: "Das können sie nur, weil wir - die Lateinamerikanerinnen - da sind."

Was kommt bei den "Internas" an?

Und die Politik? Spanien hat eine linke Regierung, die sich feministische Politik auf die Fahnen geschrieben hat und in ihrer ersten Legislatur diverse - teils höchstumstrittene - Gesetze für die Rechte der Frauen durchgesetzt hat. Eine Reform zugunsten der Hausangestellten sorgte für weniger Wirbel: Sie haben seit 2022 den Anspruch, in das Arbeitslosen-Unterstützungssystem einzuzahlen und dementsprechend Leistungen zu beziehen. Das Gesetz schützt sie zudem vor ungerechtfertigter Entlassung.  

Fraglich nur, ob diese Vergünstigungen bei den "Internas" ankommen. Für Raquel Checa Rubio, die Oxfam-Vertreterin, stellen die neuen Regelungen durchaus einen Fortschritt dar. Aber sie müssten nun erstmal umgesetzt und vor allem kontrolliert werden, sagt sie am Rande eines Treffens diverser Organisationen, die für die Rechte der "Internas" eintreten. Und wichtiger noch: Der Staat müsse Mittel bereitstellen, damit die Betreuung von Kindern und pflegebedürftigen Menschen gewährleistet werden könne.

Soledad ist für ihren Verband auch bei dem Treffen dabei. Eines von vielen dieser Art. Am Ende nehmen sich alle Frauen bei den Händen und fordern lautstark: "Gleiche Rechte für alle, Tag für Tag!"

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste am 25. Februar 2024 um 18:30 Uhr in der Sendung "Weltspiegel".