Flur eines Zellentrakts der Abschiebehafteinrichtung des Landes Hessen in Darmstadt-Eberstadt.

EuGH zu Haftbedingungen Justiz muss vor Auslieferung genau prüfen

Stand: 15.10.2019 14:05 Uhr

Bislang wies der EuGH Bedenken bei Auslieferungen in den meisten Fällen zurück. Jetzt entschieden die Richter: Justizbehörden müssen die Haftbedingungen in einem anderen Land prüfen, bevor sie einem Europäischen Haftbefehl stattgeben.

Den Richtern des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) war es eine wichtige Frage: Sie haben mit der großen Kammer, also mit 15 Richterinnen und Richtern die Sache beraten. Im konkreten Fall hatte das Oberlandesgericht Hamburg die Richter in Luxemburg gefragt: Dürfen wir jemanden per Europäischem Haftbefehl an Rumänien ausliefern, auch wenn wir wissen, dass die Haftbedingungen dort ausgesprochen schlecht sind?

Nicht nur nach offensichtlichen Mängeln schauen

Es geht um einen Mann aus Rumänien, dem dort wegen Vermögensdelikten der Prozess gemacht werden soll. Das rumänische Justizministerium hatte auf Anfrage mitgeteilt: Gefangene haben in Rumänien pro Kopf zwischen zwei und vier Quadratmeter Bewegungsraum. Das ist wahrscheinlich zu eng, sagt jetzt das oberste Gericht der EU. Wenn ein Gefangener in einer Gemeinschaftszelle weniger als drei Quadratmeter persönlichen Raum habe, spreche viel dafür, dass es sich um eine unmenschliche Behandlung handelt. Und bei der Frage, wieviel Bewegungsspielraum jeder hat, seien bitte Waschgelegenheiten und Toilette rauszurechnen.

Überhaupt geben die Richter einen deutlichen Ton vor. Wenn ein Gericht aufgrund eines Europäischem Haftbefehls abschieben will, muss es genau hinsehen: Wieviel Platz hat jeder Gefangene, wie sind die sanitären Verhältnisse und wie frei kann er sich innerhalb der Anstalt bewegen? Es reicht nicht, nur nach offensichtlichen Mängeln zu schauen.

Keine Rücksicht aufs Gesamtsystem

Das deutsche Gericht muss zum Beispiel bei der rumänischen Justizbehörde nachfragen und kann sich auch auf die Informationen verlassen, wenn es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass Haftbedingungen gegen die Grundrechtecharta verstoßen. Aber es reicht nicht zu sagen, dass der Gefangene doch in dem Empfängerland vor Gericht ziehen könne, wenn ihm die Gefängnisse zu unmenschlich erscheinen.

Und - sehr wichtig - die Richter weisen darauf hin: Das deutsche Gericht darf kein Auge zudrücken. Es darf nicht den Haftbefehl erlassen mit dem Hinweis, dass sonst das ganze System nicht mehr funktioniert. Wenn die ernsthafte und durch Tatsachen begründete Gefahr besteht, dass der Gefangene im Empfängerland einer unmenschlichen und erniedrigen Behandlung ausgesetzt wird, dann kann eben nicht ausgeliefert werden.

Unter drei Quadratmeter ist fast immer zu wenig

Interessant ist der Richterspruch, weil in den vergangenen Jahren immer wieder beim EuGH angefragt wurde, ob ein Europäischer Haftbefehl erlassen werden darf. Irland hat zum Beispiel gefragt: Dürfen wir nach Polen ausliefern, auch wenn da die Gerichte nicht mehr gut funktionieren, weil die Richter zu sehr von der Regierungspartei abhängig sind? Irland hat auch in einem anderen Fall gefragt: Dürfen wir überhaupt noch an Großbritannien ausliefern, wenn doch der Brexit kommt?

Das Oberlandesgericht Bremen hatte auch schon mal Bedenken, jemanden nach Ungarn auszuliefern, wegen der Haftbedingungen dort. Immer wieder hatte der Gerichtshof gebremst. Er wollte ganz offensichtlich nicht, dass das ganze System der gegenseitigen Auslieferungen kippt.

2018 hatten die EuGH-Richter noch entschieden: Das Gericht, das die Auslieferung prüft, muss nur die Haftanstalt ansehen, in die der Betreffende kommt. Wenn es in dem Land andere Gefängnisse gibt, die überbelegt sind, ist das egal. Wichtig ist nur, was in der konkreten Anstalt zu erwarten ist. In Anbetracht des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedsstaaten dürfe sich das deutsche Gericht auf die ungarischen Angaben verlassen.

So argumentieren die Richter jetzt auch im rumänischen Fall. Aber sie gehen weiter. Sie beziehen sich auf das andere europäische Gericht, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Der hatte schon entschieden: Unter drei Quadratmeter ist fast immer zu wenig, unter vier kann auch unmenschlich sein, wenn die Belüftung schlecht ist, oder wenn die Gefangenen keine Intimsphäre haben, wenn sie die Toiletten benutzen. Gemeinsam mit dem Straßburger Gericht des Europarats schaffen die obersten Richter der EU in Luxemburg einen neuen Rechtsrahmen für ganz Europa.

Gigi Deppe, Gigi Deppe, SWR, 15.10.2019 14:57 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. Oktober 2019 um 13:00 Uhr.