EU-Botschafter Yenel im ARD-Interview Türkei glaubt an schnelle Visa-Einigung

Stand: 30.09.2016 01:19 Uhr

Im Streit über die Visafreiheit für Türken pocht die EU seit Monaten auf eine Änderung der Anti-Terror-Gesetze durch die Regierung in Ankara. Im ARD-Interview nährte nun der türkische EU-Botschafter Yenel die Hoffnung auf eine schnelle Lösung - und nannte einen möglichen Vermittler.

Ohne Visum in die EU reisen zu dürfen, ist für viele Türkinnen und Türken ein bislang unerfüllter Traum. Bevor es dazu kommt, verlangt die EU die Änderung der umstrittenen Anti-Terror-Gesetzgebung durch die Regierung in Ankara. Dies ist der mit Abstand heikelste Punkt in dem langen Bedingungskatalog der EU. Die hier entstandene Blockade galt zuletzt als kaum auflösbar. Doch nun erklärte der türkische EU-Botschafter, dass er eine Einigung beim Anti-Terror-Paragraphen innerhalb eines Monats für möglich hält: "Das ist durchaus machbar. Wenn der politische Wille da ist, wenn wir einen Ausweg finden, dann können wir das schaffen. Wir wollen die Visafreiheit so schnell wie möglich", erklärte Selim Yenel im Interview mit dem ARD-Hörfunk in Brüssel.

Auf die Frage, wie genau sich ein Kompromiss in der Streitfrage erzielen lasse, brachte Yenel den Europarat ins Spiel - ein von den EU-Institutionen unabhängiges Gremium, das sich der Wahrung der Menschenrechte verschrieben hat und dem auch die Türkei angehört: Der Europarat könne die Rolle eines "ehrlichen Maklers" spielen, so Yenel. Man sei bereits ständig im Kontakt. "Dort hat man das Fachwissen. Der Europarat kann eine sehr positive Rolle spielen", so Yenel. "Deshalb sind wir - vermittelt durch den Europarat - im Gespräch mit der EU-Kommission. Ich glaube, wir können eine Lösung finden."

Mitgliedsländer des Europarats

Der 1949 gegründete Europarat mit Sitz in Straßburg dient als Forum für Debatten über Menschenrechtsfragen und fördert die demokratische Entwicklung in seinen 47 Mitgliedsländern. Der Europarat ist eine internationale Organisation und kein Organ der EU, ihm gehören aber alle 28 EU-Staaten an.
Weitere Mitglieder: Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Island, Liechtenstein, Mazedonien, Moldawien, Monaco, Montenegro, Norwegen, Russland, San Marino, Schweiz, Serbien, Türkei und die Ukraine.
Beobachterstatus: Israel, Japan, Kanada, Mexiko, USA und der Vatikan.

EU: Sieben von 72 Bedingungen für Visafreiheit noch nicht erfüllt

Der Anti-Terror-Paragraph ist deshalb so umstritten, weil Ankara mit dessen Hilfe aus Sicht der EU auch gegen kritische Journalisten und Regierungsgegner vorgeht. Die EU-Kommission hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass sie noch sieben der insgesamt 72 Bedingungen für die Visa-Freiheit als unerfüllt ansieht. Das Anti-Terror-Gesetz, gab auch Botschafter Yenel zu, sei "der schwierigste Punkt". Yenel stellte gleichzeitig klar, dass er auch die EU in der Pflicht sieht. "Wir haben unsere Zusagen in der Flüchtlingskrise eingehalten. Wir haben so viel getan, um der EU hier zu helfen: Die existenzielle Krise gibt es nicht mehr", betonte der türkische EU-Botschafter. "Jetzt ist es Zeit, dass auch die EU ihren Teil der Vereinbarung erfüllt", forderte Yenel im ARD-Hörfunk-Interview.

Die Zusage der EU, den Visumszwang für die Türkinnen und Türken aufzuheben, sobald die Bedingungen erfüllt sind, ist Teil des im März vereinbarten Flüchtlingspakts, den der türkische EU-Botschafter insgesamt für einen Erfolg hält: Die Zahl der Menschen, die täglich die Grenze zu Griechenland überquere, habe zuletzt nur im zweistelligen Bereich gelegen. "Der Pakt hält", stellt Yenel fest.

Türkische Beziehungen zur EU verbessern sich wieder

Was die Beziehungen der Türkei zur EU angeht, so macht er kein Geheimnis daraus, dass diese in den Wochen nach dem vereitelten Militärputsch schwer gelitten hätten. "Anfangs gab es eine tiefe Enttäuschung", so der EU-Botschafter. "Wir haben nicht die Unterstützung bekommen, die wir uns von den Europäern gewünscht haben." In den vergangenen drei Wochen aber seien mehr und mehr EU-Vertreter in die Türkei gereist. Sie hätten die traumatisierenden Auswirkungen des Putsches erlebt, die Bombeneinschläge im Parlament gesehen. "Ich denke, wir haben ein neues Kapitel aufgeschlagen, es gibt ein neues Verständnis", so Yenel.

Gegen Ende des Gesprächs machte er der EU gar noch ein kleines verbales Geschenk, indem er sagte: "Wir sehen die Europäische Union immer noch als Erfolgsgeschichte." Worte, die man selbst von EU-Vertretern, die sich seit geraumer Zeit im Dauer-Krisen-Modus befinden, zuletzt eher selten gehört hat.

Kai Küstner, K. Küstner, ARD Brüssel, 30.09.2016 10:53 Uhr