EU verabschiedet Türkei-Erklärung Dialog statt Drohung

Stand: 08.11.2016 12:13 Uhr

Sanktionen oder gar ein Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen? Im Umgang mit der Türkei scheut die EU die große Konfrontation. Und so einigt sie sich auf ein bisschen Druck gegen die Regierung in Ankara und Präsident Erdogan.

Auch wenn die EU scharfe Worte nicht scheut, lautet ihr Motto für den Umgang mit der Türkei vorerst: Dialog statt Drohungen. In einer jetzt verabschiedeten gemeinsamen Erklärung verzichten die 28 EU-Staaten auf jederlei Ankündigungen, dass sie die Beitrittsgespräche auf Eis legen könnten. In dem Text, der dem ARD-Studio Brüssel vorab vorlag, stellt die EU jedoch klar, dass sie die jüngsten Ereignisse in der Türkei mit "schwerwiegender Sorge" verfolge. Darunter seien: "Neue Überlegungen, ein Gesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe ins Parlament einzubringen; anhaltende Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der sozialen Medien, und weitere Schließungen von Medienunternehmen und Haftbefehle gegen Journalisten; und jüngst die Inhaftierung der beiden Vorsitzenden der zweitgrößten Oppositionspartei, HDP, und die Festnahme mehrerer Parlamentarier - das alles sind extrem beunruhigende Entwicklungen."

Gesprächsangebot statt Drohung

Das "Politische und Sicherheitspolitische Komitee", kurz PSK genannt, in dem alle 28 EU-Mitgliedsstaaten vertreten sind, hielt gestern in Brüssel ein Krisentreffen ab. Hier wurde die nun vorliegende Erklärung erarbeitet. Diese mündet aber jenseits der deutlichen Lagebeschreibung eben nicht in einer direkten Drohung an die Adresse Ankaras, sondern vielmehr in einem Gesprächsangebot. Die EU erinnert daran, dass sie den Militärputsch-Versuch in der Türkei verurteilt habe und gesteht dem Land durchaus zu, dass es notwendig sei, darauf "angemessen" zu reagieren. Allerdings fordert die EU dabei gleichzeitig die Achtung der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaats "im Einklang mit den Verpflichtungen eines Beitritts-Kandidaten", wie es in dem gemeinsamen Text heißt. Und sie fügt dann noch an: "In dieser Hinsicht werden die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Situation weiter sehr genau beobachten. Sie stehen bereit, den politischen Dialog mit der Türkei auf allen Ebenen fortzusetzen."

Die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU

Seit 1987 will die Türkei offiziell der EU beitreten. Das Land hat seit 1999 einen Kandidatenstatus, seit 2005 laufen die offiziellen Verhandlungen.
Die 2005 gestarteten Verhandlungen sind in 35 Kapitel unterteilt. Sie strukturieren den Beitrittsprozess nach Themen wie Justiz und Grundrechte, Energie und Verbraucherschutz. Geöffnet worden sind bislang 16 Kapitel, provisorisch abgeschlossen wurde nur eines.
Nach dem gescheiterten Militärputsch und der harten Reaktion der türkischen Führung gibt es in der EU Zweifel, insbesondere was die Eignung der Türkei betrifft, wenn es um Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Grundrechte geht.

Geschlossenen Eindruck wahren

Dass sich nun alle 28 EU-Staaten auf diese Erklärung geeinigt haben, ist auch der Versuch, gegenüber Präsident Recep Tayyip Erdogan einen geschlossenen Eindruck zu machen. Und zu vermeiden, dass der Chor an Vorschlägen, wie man am besten mit der Türkei umspringen solle, so vielstimmig wird, dass keine klare EU-Haltung mehr erkennbar ist. Unter anderem war die Forderung laut geworden, die Beitrittsgespräche mit der Türkei sofort auf Eis zu legen. Diese Haltung vertreten die Österreicher, ohne dass es bislang einen Hinweis darauf gibt, dass sich die sich innerhalb der EU durchsetzen könnte. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hingegen hatte Wirtschaftssanktionen ins Gespräch gebracht - wofür er sogleich Widerspruch von der Bundesregierung erntete.

Unüberseh- und hörbar ist bei all dem, dass sich der Ton zwischen der Türkei und der EU nach einer kurzen Phase vermeintlicher Annäherung nun wieder verschärft. Und niemand weiß so genau, ob Präsident Erdogan für Ratschläge aus Brüssel und anderen Hauptstädten überhaupt noch empfänglich ist. Doch das Risiko, Brücken abzubrechen und sich auf diese Weise womöglich aller Einwirkungsmöglichkeiten zu berauben, will man auf EU-Seite derzeit offenbar noch nicht eingehen.

Kai Küstner, K. Küstner, ARD Brüssel, 08.11.2016 11:20 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandradio Kultur am 07. November 2016 um 17:51 Uhr