Rolle der EU in der Sicherheitspolitik Mehr Kooperation, kein NATO-Ersatz

Stand: 14.11.2016 01:13 Uhr

Wenn sich die USA aus der Welt zurückziehen, wächst der Druck auf EU, mehr Verantwortung zu übernehmen. Aber auch wenn das Wort Supermacht gefallen ist, geht es den EU-Staaten zwar um mehr Kooperation, aber nicht um eine Rolle als Weltpolizist.

Von Kai Küstner, ARD-Studio Brüssel

Die Diskussion darüber, ob Donald Trump die letzten Nägel in den Sarg der Europäischen Union hämmert oder ihr im Gegenteil ungewollt zu einer Art Wiederauferstehung verhilft, ist in vollem Gange.

Unüberhörbar geworden sind jedenfalls von offizieller Seite Forderungen, dass die EU jetzt erst recht mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen muss. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini fordert wie Deutschland und Frankreich seit langem die Vollendung der EU-Verteidigungsunion und scheut in diesem Zusammenhang auch nicht mehr den Begriff "Supermacht".

"In den kommenden Monaten und Jahren - man kann sogar sagen: in diesen Stunden - wird es eine zunehmende Nachfrage nach Europa geben, von unseren Nachbarn und unseren Partnern in der Welt. Die Forderung nach einem von Prinzipien geleiteten globalen 'Sicherheits-Dienstleister' wird wachsen. Die Forderung nach einer Supermacht, die an mehrseitige Bündnisse und Zusammenarbeit glaubt", so Mogherini.

Kein neuer Weltpolizist, keine europäische Armee

Auch wenn man den Begriff "Supermacht" durchaus so missverstehen könnte, dass die EU anstrebt, in die alte Rolle der USA als Weltpolizist zu schlüpfen, gibt es dafür wenig Anzeichen. Die Ziele von "mehr Europa" bei der Verteidigung fallen zunächst bescheidener aus: Gemeinsame Rüstungsprojekte, ein gemeinsames Sanitätskommando und bessere Planung und Leitung der bereits laufenden EU-Militär-Missionen durch ein gemeinsames Hauptquartier in Brüssel, ohne dass dabei die anderen bereits bestehenden, aufgegeben werden.

Die Amerikaner würden schließlich, warnte vor wenigen Tagen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, nicht auf Dauer für die Sicherheit der Europäer sorgen: "Das müssen wir schon selbst tun. Und deshalb brauchen wir einen neuen Anlauf für die Europäische Verteidigungs-Union.“

Dass Juncker dabei auch wieder die Schaffung einer EU-Armee als Zielmarke ausgab, dürfte man in Berlin nicht gern gehört haben, versucht doch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen beharrlich, nicht nur britische Bedenken vor zu ehrgeizigen Plänen mit dem Satz zu begegnen: "Es geht nicht um eine europäische Armee." Rechnet man die Militärausgaben der EU-Einzelstaaten zusammen, so sind die tatsächlich höher als die russischen.

Kein Ersatz für die NATO

Was die Befürworter von "mehr Europa" bei der Verteidigung wollen, ist: mehr Absprache, bessere Planung, mehr Effizienz. Auf keinen Fall gehe es darum, die NATO zu ersetzen oder gar als Sicherheitsgarant abzulösen, wird immer wieder betont.

Dass aber der neue Mann im Weißen Haus, Donald Trump, diese NATO während des Wahlkampfs ein ums andere Mal in Frage gestellt hatte, ist einer der Gründe, warum sich die Europäer nun umso stärker auf sich selbst besinnen. Es ist schlicht nicht klar, was von Trump zu erwarten ist: Aussagen wie jene vom März, dass die NATO "hinfällig" geworden sei oder jene vom Juli, in der er offen ließ, ob er die baltischen Staaten wirklich gegen einen russischen Angriff verteidigen würde, haben nicht nur Osteuropa tief beunruhigt.

NATO-Generalsekretär Stoltenberg

Stoltenberg warnte die USA und die EU vor Alleingängen.

Eins jedenfalls könne man von Trump auf jeden Fall erwarten, sagt der Direktor des German Marshall Fund, Ian Lesser, im ARD-Hörfunk-Interview: Eine "Amerika-zuerst-Philosophie". "Präsident Obama hat sehr viel Wert auf Allianzen und Partnerschaften gelegt. Nach allem, was wir von Trump gehört haben, misst er dem nicht so viel Wert bei", sagt Lesser.

Bemerkenswert ist jedenfalls: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte jetzt in einem Interview mit dem "Observer" sowohl die USA als auch die Europäer vor Alleingängen. Tatsächlich würde die EU sicher gerne vermeiden, dem Trump'schen "Amerika zuerst" wirklich ein trotziges "Europa zuerst" entgegensetzen zu müssen. Doch erste Vorkehrungen für eine unsichere Zukunft trifft sie nun für den Fall, dass die USA nicht mehr bereit sind, ihre schützende Hand über den Atlantik hinweg auszustrecken.

Kai Küstner, K. Küstner, ARD Brüssel, 13.11.2016 23:13 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 14. November 2016 um 06:25 Uhr.