Zwischen Sozialismus und Kapitalismus Leben im Wüsten-Kibbuz

Stand: 06.05.2008 12:37 Uhr

Lange Zeit galten die israelischen Kibbuz als Orte, in denen Sozialismus tatsächlich gelebt wurde: Die Erzeugnisse gehörten allen - und die Menschen lebten in einer engen Gemeinschaft. Heute ist das in vielen Kibbuzim nicht mehr der Fall.

Von Clemens Verenkotte, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv

"Ihr seid jetzt im Bezirk Eilot. Das reicht vom Kibbuz Eilot, dicht bei Eilat, bis zu Kushi am Kilometer 101 im Norden und schließt auch einige Gemeinden auf den Bergen mit ein." Udi Pinzler steht mitten in seinem Kibbuz und sieht vier Jungen zu, die hinter dem gemeinsamen Speisesaal auf einer Grasfläche ein bisschen kicken. Der Kibbuz-Sekretär streckt seine kräftigen Arme aus. Wohin er auch zeigt - rings um die kleine Wohnanlage herum, in der 100 Menschen leben, reine Natur: Wüste, weites Land, eingefasst im Osten wie Westen von schroffen, braunen, mitunter dunkel bis schwarz gefärbten Bergen.

Hier, im südlichen Negev, rund 25 Kilometer nördlich von Eilat, dem einzigen israelischen Hafen am Roten Meer, leben Udi und seine Frau und die drei Töchter. Das Stadtleben im überfüllten Großraum Tel Aviv hatte Udi ebenso satt wie seinen alten Beruf als Versicherungsmakler.

Kibbuz-Alltag abseits vom Kapitalismus

"Ich bin aus Givataim gekommen, das grenzt an Tel Aviv," berichtet Udi. "Warum ich hergekommen bin? Mir war das alles zuviel in der Stadt. Ich habe einen Ort gesucht, an dem ich meine Kinder großziehen kann, meine Familie - einen anderen Ort. Wo ich gute Luft atmen kann, in einer offenen Landschaft. Ich bin ein Naturmensch. Und hier leben wir in der Natur."  

Der Kibbuz Elifaz habe sich nicht anstecken lassen von der landesweiten Gier nach Geld und noch mehr Geld, sagt Udi. Die Siedlung habe sich nicht infizieren lassen vom süßen Gift des Kapitalismus, dem die meisten Kibbuzim in Israel erlegen seien: Hier gibt es noch Gemeinschaftseigentum. Die Einnahmen aus dem Dattel-Verkauf, der Milchwirtschaft und den Touristen-Übernachtungen werden - wie es früher überall der Fall war - durch alle beteiligten Familien geteilt. Mehrmals in der Woche essen alle zusammen im Speisesaal.

Udi hält nicht sehr viel von den beeindruckenden Wachstumszahlen, die Israels Wirtschaft seit vier, fünf Jahren aufweisen kann: "Das heißt, es gibt hier Leute, die immer reicher werden. Aber wir haben anscheinend diejenigen vergessen und hinter uns gelassen, die weniger verdienen. Und das mag ich nicht. So sind wir nicht erzogen worden, so sind wir nicht aufgewachsen. Es ist hart, immer mehr und mehr Suppenküchen zu sehen. Es werden immer mehr gegründet und auch wir, der Kibbuz, spenden  immer wieder Essen und Kleider an Organisationen. Ich gebe ja gerne, aber ich wünschte, es wäre nicht nötig." 

Clemens Verenkotte, C. Verenkotte, ARD, 05.05.2008 16:53 Uhr

"Es gibt keinen Staat wie Israel"

Udi, mit seinem landestypisch kahl geschorenen Schädel, der dunklen Sonnenbrille und seinen massigen 1,70 Meter, liebt das Leben hier in der Abgeschiedenheit der Wüste. Hinter den Dattelpalmen des Kibbuz beginnt schon Jordanien. Man würde heute gar nicht mehr merken, dass sie direkt an der Grenze lebten, an der noch vor über 30 Jahren geschossen worden sei. So müsste es überall in Israel sein, so schön ruhig, meint er.

"Es gibt keinen Staat wie Israel", sagt Udi. "Wir leben hier trotz des Drucks und trotz aller Probleme. Unter den Leuten gibt es viel Offenheit - das ist ein wunderbares Land. Und trotz des Streits und aller Schwierigkeiten gehen wir nicht weg von hier, weil es hier schlussendlich gut ist. Das ist es, was die Leute hält. Wir möchten nur etwas mehr Ruhe. Ein bisschen Erholung für ein paar Minuten, wieso nicht?", fragt er. Und lacht.