Interview

Sicherheit auf Schiffen "Nur wenige sind für Evakuierung ausgebildet"

Stand: 16.01.2012 18:06 Uhr

Nach der Havarie der "Costa Concordia" wird auch über Fehler der Besatzung diskutiert. Bei Schieflage eines Schiffes laufe jede Evakuierung chaotisch ab, sagt Kapitän Jens-Peter Hoffmann im Gespräch mit tagesschau.de. Erst recht, weil nur 30 bis 40 Menschen an Bord überhaupt dafür ausgebildet sind.

tagesschau.de: Nach der Havarie der "Costa Concordia" wird menschliches Versagen als Ursache angenommen. Gibt es nicht technische Geräte an Bord, die so einen Zusammenstoß verhindern müssten?

Hoffmann: Ja sicher, das Schiff hat ein GPS mit elektronischer Seekarte, Radargeräte, Echolote, also die ganze Technik, die nötig ist, um rechtzeitig vor einem solchen Unglück zu warnen. Wenn man dem Grund zu nahe kommt, werden akustische Warnsignale gegeben. Allerdings müssen diese Geräte auch eingeschaltet und vorher entsprechend programmiert werden. Also zum Beispiel wieviel Abstand zum Land das Schiff halten soll oder ab welcher Tiefe es gefährlich wird. Ich weiß nicht, ob es in diesem Fall eine solche Programmierung gab. Aber so nah an eine Insel mit vorgelagerten Riffen zu fahren ist trotz aller Technik sehr gefährlich.

Zur Person

Jens-Peter Hoffmann ist 20 Jahre lang zur See gefahren, die letzten fünf Jahre als Kapitän großer Frachtschiffe mit Passagieren. Anschließend begutachtete er als nautischer Sachverständiger für den ADAC die Sicherheit von Schiffen.

Im Ernstfall ist sich jeder selbst der Nächste

tageschau.de: Passagiere berichten, die Evakuierung an Bord sei chaotisch gewesen. Wie müsste denn so eine Evakuierung eigentlich ablaufen?

Hoffmann: Wenn der Kapitän die Evakuierung angeordnet hat, müssen alle Passagiere zu den Rettungsbooten kommen und sich eine Rettungsweste anziehen. Die gibt es sowohl in den Kabinen als auch an bestimmten Sammelpunkten. Die Besatzungsmitglieder bereiten dann die Rettungsboote vor und lassen sie ins Wasser. Es gibt auch Rettungsinseln, auf die die Passagiere zum Beispiel über Evakuierungsrutschen gelangen können. Idealerweise weist die Crew die Passagiere dabei an. Aber wenn ein Schiff plötzlich 30 bis 40 Grad Neigung hat, dann funktioniert das alles nicht mehr.

tagesschau.de: Heißt das, die Evakuierung lief nur deshalb chaotisch, weil das Schiff bereits Schieflage hatte?

Hoffmann: Wenn 4200 Menschen in Rettungsboote gebracht werden müssen, in die jeweils etwa 150 Leute passen, dann kann das kaum geordnet ablaufen. Da ist sich jeder selbst der Nächste und wird mit Ellbogen versuchen als Erstes dran zu kommen, erst recht wenn das Schiff zu kippen droht. Und wenn dann noch Panik hinzukommt, dann herrscht Chaos. Natürlich wäre es einfacher gewesen, wenn das Schiff gerade gelegen hätte. Dann hätten an beiden Seiten Rettungsboote ins Wasser gelassen werden können, so ging das nur auf einer Seite. Und wenn so viele Menschen sich auf dem Bootsdeck drängen und alle durcheinander schreien, dann kann ich schon verstehen, dass die Crew dazwischen gar nicht mehr wahrgenommen wird. Mal ganz davon abgesehen wird die Crew ja nur in der Theorie auf so ein Unglück vorbereitet. Die Übungen finden im Hafen statt, dort gibt es keinen Wellengang und keine Schieflage. Im Ernstfall sieht die Sache ganz anders aus.

Wie gut das Personal ausgebildet ist, hängt von der Reederei ab

tagesschau.de: Kann es sein, dass durch den Boom in der Kreuzfahrt-Branche Mangel an qualifiziertem Personal herrscht?

Hoffmann: Das glaube ich schon. Die Schiffe werden immer größer, sind für immer mehr Passagiere ausgelegt und da braucht man natürlich jede Menge Besatzungsmitglieder. Aber der Großteil davon sind Servicekräfte. Die sind gar nicht für eine Evakuierung zuständig. Die machen einen Kurzlehrgang, damit sie wissen, wie man sich auf einem Schiff bewegen muss und das war's. Zuständig für Rettungsmaßnahmen ist nur das seemännische Personal, das sind etwa 30 bis 40 Leute, die Zahl ist international vorgeschrieben. Die sind in der Regel gut ausgebildet. Aber natürlich gibt es Reedereien, die mehr oder weniger Wert auf die Ausbildung ihres Personals legen, da gibt es schon Qualitätsunterschiede, vor allem wenn Billigkräfte aus Asien oder Afrika angeworben werden. Aus meiner Erfahrung als Sachverständiger weiß ich, dass die schlechtesten Besatzungen von Reedereien aus Italien oder Griechenland kommen. Dort kontrollieren die Behörden nicht so streng. Wie das im Fall der "Costa Concordia" gewesen ist, weiß ich aber nicht.

tagesschau.de: Hätte nicht eigentlich eine Sicherheitseinweisung an Bord stattfinden müssen?

Hoffmann: Ja, das ist vorgeschrieben. Allerdings finden die meist erst am zweiten Tag der Reise statt und die "Concordia" war ja erst ein paar Stunden unterwegs. Ich glaube aber nicht, dass das in diesem Fall so besonders viel genutzt hätte. Wie gesagt, ist das alles graue Theorie. Außer natürlich, dass alle Passagiere gewusst hätten, wo sie ihre Rettungswesten finden. Das war nämlich hier nicht der Fall.

tagesschau.de: Die Kritik am Kapitän des Schiffs wird immer schärfer. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, viel zu früh von Bord gegangen zu sein. Gibt es ein Gesetz, dass der Kapitän als letzter das Schiff verlassen muss?

Hoffmann: Das ist nirgends festgeschrieben, aber es ist ein ungeschriebenes Gesetz. Schließlich hat er die Fürsorgepflicht für seine Passagiere und seine Besatzung. Er hat die Verantwortung und gibt das Kommando, da kann er sich doch nicht einfach vorher absetzen. Moralisch ist das zu verurteilen.

Die Fragen stellte Sandra Stalinski, tagesschau.de