Interview

Interview mit ARD-Korrespondent Graebert "Deutsche Medien werden in China zur Hauptzielscheibe"

Stand: 16.04.2008 17:57 Uhr

Das deutsche Image in China habe durch die Berichterstattung deutscher Medien gelitten, sagt Chinas Botschafter in Berlin, Ma Canrong, im tagesschau.de-Interview. ARD-Korrespondent Jochen Graebert bestätigt: "Deutsche Medien werden als besonders manipulativ empfunden." Dies liege nicht nur an der chinesischen Propaganda.

tagesschau.de: Der chinesische Botschafter in Deutschland hat in einem Interview mit tagesschau.de gesagt, die Berichterstattung der westlichen – auch der deutschen Medien – über den Tibet-Konflikt und die Proteste gegen den Fackellauf hätten in der chinesischen Bevölkerung große Empörung hervorgerufen. Stimmt das wirklich?

Jochen Graebert: Ja, das stimmt. Die chinesische Propaganda hat natürlich wesentlich dazu beigetragen, dass die Empörung in der chinesischen Bevölkerung weiter angeschwollen ist. Aber es gab bei den Menschen bereits Unmut über die Berichterstattung der westlichen Medien zum Tibet-Konflikt. Denn die Chinesen sehen den Konflikt grundsätzlich anders als der Westen: Sie fühlen sich als Opfer. Tibet ist für sie Teil ihres Landes, und sie sehen durch die Unruhen die Einheit Chinas gefährdet. Die Berichterstattung der westlichen Medien empfand die Mehrheit von Anfang an als unfair. Und gerade auch gebildete Chinesen sind zumindest gespalten. Sie kritisieren ihre eigenen Medien, denen sie Propaganda vorwerfen, aber auch die westlichen, denen sie vorwerfen, sie seien einseitig auf Seiten der Tibeter.

Deutsche Medien werden zur Hauptzielscheibe

tagesschau.de: Der chinesische Botschafter sagt auch, dass die Berichterstattung dem Image der Deutschen in China bereits schweren Schaden zugefügt hat. Trifft das zu?

Graebert: Die deutschen Medien sind tatsächlich die Hauptzielscheibe der chinesischen Propaganda. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Dalai Lama empfangen hat. Und es ist natürlich außerdem von der Regierung gesteuert. Bei jeder Gelegenheit wird darauf hingewiesen, dass deutsche Medien in Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Tibet-Unruhen Fotos oder Video-Aufnahmen im falschen Zusammenhang gezeigt haben. Das wird nicht als Fehler oder Versehen ausgelegt, sondern als bewusste Manipulation interpretiert. Und es hat viele Chinesen überzeugt – gerade auch Studenten, gebildete Leute. Auch sie glauben nicht daran, dass das zufällig passiert ist. Insofern werden die deutschen Medien mittlerweile in breiten Bevölkerungsschichten als besonders manipulativ empfunden. Das muss man ernst nehmen, weil ausländische Medien bislang eine relativ hohe Glaubwürdigkeit in China hatten. Das hat sich komplett gedreht.

tagesschau.de: Auf tausenden chinesischer Webseiten wurde kürzlich dazu aufgerufen, eine tagesschau.de-Umfrage zum Fackellauf zu manipulieren. Das funktionierte – und zwar hunderttausendfach. Laut dem chinesischen Botschafter war das keine gelenkte Kampagne der Regierung, sondern ein spontaner Protest. Ist das denkbar?

Graebert: Eine solche Aktion muss nicht unbedingt direkt von der Regierung gelenkt sein. Es gibt in China und auch unter den Auslandschinesen hoch organisierte nationalistische Vereinigungen. Diese Leute treten auf ihren Websites solche Kampagnen los. Die Regierung duldet das wohlwollend, und sie fördert das auch. Dass die Regierung so etwas befiehlt, wäre aber wohl zuviel gesagt.

Rückzug in die Festung

tagesschau.de: Bei den olympischen Spielen wollte sich China eigentlich als moderne, offene Nation präsentieren. Haben die massiven Proteste eher zu einer stärkeren Abschottung geführt?

Graebert: Sie haben zu einer extremen mentalen Abschottung geführt. Nicht nur die Regierung, sondern auch Teile der Bevölkerung haben sich in eine Art Festung zurückgezogen. Die Mehrheit der Bevölkerung steht jetzt in trotziger Wut dem Ausland und vor allem den westlichen Medien gegenüber. Andererseits sind die Chinesen auch sehr stolz darauf, die Olympischen Spiele auszurichten, deshalb ist noch nicht ganz klar, wie sich die Haltung gegenüber Ausländern bis zu den Spielen entwickeln wird. Das hängt letztlich von der Regierung und den chinesischen Medien ab.

tagesschau.de: Kritik an westlicher Berichterstattung, Boykottaufrufe zum Beispiel gegen französische Firmen und Produkte wegen der Proteste beim Fackellauf in Paris – zieht China verstärkt die nationale Karte?

Graebert: Eindeutig. Die Regierung vermittelt der Bevölkerung den Eindruck, dass China jetzt am Pranger steht und das Ausland China schwächen und demoralisieren will. Aber es gibt auch kritische Stimmen, die sagen: 'Das geht jetzt zu weit'. Von einigen chinesischen Journalisten-Kollegen hören wir schon, dass man jetzt mal eine Kampagne gegen überzogenen Nationalismus machen müsse.

Man muss auch Verständnis haben

tagesschau.de: Hätte ein Land im Vorfeld der WM 2006 in Deutschland wegen neonazistischer Überfälle auf Ausländer einen Boykott gefordert, hätte man in Deutschland auch nicht erfreut reagiert. Der Vergleich hinkt zwar, aber ist die chinesische Empfindlichkeit im Vorfeld diese Großereignisses vielleicht auch verständlich?

Graebert: Man muss Verständnis dafür haben. Gerade wenn man betrachtet, dass es das erste Mal in der Geschichte des kommunistischen Chinas ist, dass man den westlichen Medien und der Weltöffentlichkeit so ungeschützt ausgesetzt ist. Es ist eine schockartige Erfahrung für die Menschen zu sehen, dass es weltweit Proteste gibt und die nicht polizeilich - wie in China üblich - aufgelöst werden. Wenn westliche Medien über Proteste berichten, dann werden sie mit den Protestlern gleichgesetzt, weil in China über so etwas gar nicht berichtet werden würde. Und wenn eine Regierung Proteste gegen die Fackel nicht unterbindet, geschieht dasselbe. Denn eine Regierung, die solche Proteste nicht will, verhindert sie. So ist das in China, und das sind die Menschen gewohnt. Dieses wochenlange Trommelfeuer der westlichen Medien empfinden die Chinesen auch als beleidigend. Andererseits ist es auch eine wichtige Erfahrung für China, denn das Land ist nun mal eine kommende Supermacht und muss lernen, mit einer kritischen Weltöffentlichkeit gelassener umzugehen und manches einfach zu ertragen.

Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de