Die EU-Sicht Vorbild Churchill

Stand: 27.03.2017 20:25 Uhr

Eine "gesalzene Rechnung" werde die EU nach London schicken, so Kommissionschef Juncker. Scheidungen sind teuer, von 60 Milliarden Euro ist die Rede. Der Brexit - eine Preisfrage? EU-Chefverhandler Barnier zitiert Churchill.

Mit dem Brexit ist es aus EU-Sicht wie mit einer Scheidung im Streit: Es wird teuer. Oder wie es Kommissionschef Jean-Claude Juncker Ende Februar im belgischen Senat ausdrückte: "Gesalzen" werde die Rechnung für London. Was das heißt, also in Zahlen, ist spätestens seit dieser Ansage eine der Top-Brexit-Fragen.

Ein Betrag von 60 Milliarden Euro geistert seit Wochen durch die Medien. Offiziell bestätigt wurde der bisher nicht, allerdings erklärte Juncker nun im Interview mit der BBC: "50, 60 Milliarden ist aufgerundet. Aber das ist gar nicht die zentrale Frage. Wir müssen ausrechnen, wozu sich die Briten finanziell verpflichtet haben, und dann muss die Rechnung bezahlt werden."

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (Archivbild)

Die Rechnung muss bezahlt werden, sagt EU-Kommissionschef Juncker an die Adresse der Briten.

Wieviel Spaß der EU die Zahlenspielerei auf Kosten des britischen Nervenkostüms macht, ließ sich jüngst in Brüssel erahnen: Auf die 60 Milliarden angesprochen antwortete Junckers Chefsprecher Margaritis Schinas - der übrigens aus dem dauerpleitebedrohten Griechenland kommt - mit einem breiten Grinsen: "Das ist, als würden sie in der Kneipe für 27 Freunde eine Runde Bier ausgeben und dann plötzlich gehen. Sie müssen immer noch bezahlen, was sie bestellt haben."

Was wird aus dem Briten-Rabatt?

Im "Spiegel" bestätigte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, dass es wohl "auf einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag hinauslaufen" werde. Die 60 Milliarden Euro stehen unter anderem in einer Untersuchung der Denkfabrik "Centre for European Reform". Darin rechnet der "Financial-Times"-Journalist Alex Barker vor: Zu Bezahlen seien unter anderem 29 Milliarden Euro an bereits zugesagten britischen Geldern für künftige EU-Projekte und Maßnahmen, 17 Milliarden Euro für die diversen Strukturfonds der EU bis 2020, sowie acht Milliarden für den Topf, aus dem die Pensionen von EU-Beamten bezahlt werden. Wohlgemerkt: Alles inklusive des Briten-Rabatts, den einst die Thatcher-Regierung ausgehandelt hat. Ob der bleibt, wird sich in den Brexit-Verhandlungen zeigen.

Finanzexperte Barker selbst gibt in seiner Studie übrigens zu: Niemand könne genau sagen, wie hoch die Brexit-Rechnung werde, weil es noch unzählige weitere Verpflichtungen der Briten gebe: Vom europäischen Satelliten-Projekt Galileo bis hin zu zugesagten Hilfszahlungen, die fällig würden, falls frühere Krisenländern wie Irland oder Portugal ihre EU-Kredite nicht zurückzahlen könnten.

Britisches Parlament will den Bexit

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Keine Austrittsgebühr, sondern eine Rechnung

Allerdings bekommt Großbritannien eventuell auch Geld zurück, zum Beispiel neun Milliarden aus den Strukturfonds und bis zu 23 Milliarden aus EU-Vermögen - wobei dieses Geld in gemeinsam finanzierten EU-Gebäuden in Brüssel, Straßburg und anderswo steckt.

Michel Barnier, der Chefverhandler der EU, könnte die Rechnung sogar noch höher ansetzen, vermuten Insider. Der Franzose gilt als "harter Hund". Vor einigen Tagen sagte er vor europäischen Regionalvertretern: "Es gibt keine Austrittsgebühr in der EU, aber die Rechnungen müssen bezahlt werden."

Wie er den zahlungsunwilligen Briten verbal begegnen wird, deutete Barnier auch an: Indem er einen der "wichtigsten Männer der europäischen Geschichte" zitiert: Churchill. Der sagte: "Der Preis für Größe ist Verantwortung. Das gilt für die Briten genauso wie für uns."

Sebastian Schöbel, S. Schöbel, ARD Brüssel, 27.03.2017 16:06 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. März 2017 um 05:11 Uhr