Nach dem Terroranschlag bei Moskau suchen Einsatzkräfte nach Spuren und möglichen weiteren Opfern.

Nach Terroranschlag bei Moskau Ein Bekenntnis, Anschuldigungen und viele Fragen

Stand: 24.03.2024 05:35 Uhr

Mehr als 130 Menschen wurden bei dem Anschlag nahe Moskau getötet. Der IS reklamierte das Attentat für sich - der Kreml zog hingegen Verbindungen in die Ukraine. Präsident Selenskyj widersprach scharf.

Nach einem der schwersten Terroranschläge der russischen Geschichte mit mehr als 130 Toten ist weiterhin nicht eindeutig geklärt, wer dafür verantwortlich ist. Das russische Innenministerium erklärte, das Attentat vom Freitagabend sei von ausländischen Staatsbürgern verübt worden. Insgesamt sprach der Kreml von elf Festnahmen, davon seien vier direkt beteiligt gewesen. Genaue Angaben zur Nationalität machte Russland nicht.

In einer TV-Ansprache 19 Stunden nach dem Anschlag sprach Präsident Wladimir Putin von einer "barbarischen terroristischen Tat" - und von Spuren in die Ukraine. Auf das Bekenntnis des "Islamischen Staats" (IS) ging er nicht ein. "Sie versuchten, sich zu verstecken und bewegten sich in Richtung Ukraine", so Putin. Dort sei nach vorläufigen Erkenntnissen auf ukrainischer Seite eine Gelegenheit für sie vorbereitet worden, um die Grenze in die Ukraine zu überqueren. Beweise legte er dafür nicht vor.

"Es gibt keinerlei Belege für eine Beteiligung der Ukraine an dem Anschlag", so Peter Neumann, Terrorismusexperte King's College London

Brennpunkt, 23.03.2024 20:15 Uhr

Experte: Keine Belege für Version des Kreml

Dabei gebe es keine Zweifel an dem Bekenntnis des IS, sagte Terrorexperte Peter Neumann vom King's College in London im ARD-Brennpunkt. Putin habe impliziert, dass die Ukraine eine aktive Rolle gespielt habe. "Und dafür gibt es keinerlei Belege - ganz im Gegenteil", so Neumann. Es gab bisher drei Bekennernachrichten vom IS, die alle authentisch seien und über die offiziellen IS-Kanäle verbreitet wurden. "Meiner Meinung nach besteht überhaupt kein Zweifel, dass das vor allem die Verantwortung des IS war und ganz speziell des Ablegers ISPK."

Der "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (ISPK) trägt schon seit einigen Jahren einen bewaffneten Konflikt mit den militant-islamistischen Taliban in Afghanistan aus. Der IS-Ableger rekrutiere sehr aktiv unter anderem in ex-sowjetischen Staaten in Zentralasien wie Tadschikistan, Usbekistan oder Kirgistan und werde auch mit Anschlagsplänen an Weihnachten in Köln und Wien in Verbindung gebracht.

Ina Ruck, ARD Moskau, zzt. Krasnogorsk und Vassili Golod, ARD Kiew, zur Lage in Russland und der Ukraine

Brennpunkt, 23.03.2024 20:15 Uhr

Auch ARD-Korrespondentin Ina Ruck aus Moskau sagte, Putin habe "sofort mit dem Finger Richtung Ukraine gezeigt, ohne irgendwelche Beweise zu nennen".

Selenskyj: Putin versuche nur, anderen die Schuld zu geben

Kiew stritt die Vorwürfe entschieden ab: In seiner täglichen Videoansprache sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, Putin und seine Gefolgsleute "versuchen einfach nur, jemand anderes die Schuld zu geben". Zuvor hatte unter anderem auch Präsidentenberater Mychailo Podoljak im Onlinedienst X die Anschuldigungen als "absurd" zurückgewiesen. Ebenso erklärt die USA es gebe keine Hinweise darauf, dass die Ukraine in das Attentat verwickelt sei. 

Der polnische Regierungschef Donald Tusk warnte davor, die Attacke als Vorwand für eine Eskalation zu nutzen. "Wir hoffen, dass diese furchtbare Tragödie nicht - für wen auch immer - als Vorwand für eine Eskalation der Gewalt und der Aggression dient", erklärte er auf X.

IS reklamiert Anschlag erneut

Der IS bekräftigte hingegen am Mittag im Onlinedienst Telegram seine Verantwortung für den Angriff. "Der Anschlag wurde von vier IS-Kämpfern verübt", erklärte die Miliz. Diese seien mit Maschinengewehren, einer Pistole, Messern und Brandbomben bewaffnet gewesen. Der Anschlag sei Teil des "natürlichen Kontextes des tobenden Krieges" mit den "Ländern, die den Islam bekämpfen".

Auf seinen Telegram-Kanälen hat die Dschihadistenmiliz inzwischen ein mutmaßliches Video des Anschlags veröffentlicht. Die eine Minute und 31 Sekunden lange Szene zeigt eine Nahaufnahme eines der Schützen, als er das Feuer auf mehrere Menschen in einer Konzerthalle eröffnet. Der IS-Propagandakanal Amak veröffentliche zudem verpixelte Fotos, die die angeblichen Attentäter zeigen sollen. Auf einem Bild waren vier Personen mit unkenntlich gemachten Gesichtern zu sehen.

Staaten äußern Entsetzen und Beileid

Aus zahlreichen Ländern gab es Solidaritätsbekundungen. "Wir verurteilen den schrecklichen Terrorangriff auf unschuldige Konzertbesucher in Moskau", schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz beim Kurznachrichtendienst X. "Unsere Gedanken sind mit den Angehörigen der Opfer und allen Verletzten", so der SPD-Politiker. Auch US-Außenminister Antony Blinken sprach den Familien sein Beileid aus. "Wir verurteilen Terrorismus in all seinen Formen und sind solidarisch mit dem russischen Volk in seiner Trauer um die verlorenen Menschenleben."

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnete den Angriff als "abscheulichen Terrorangriff". "Terrorismus ist inakzeptabel, egal woher er kommt und wer die Angreifer sind", sagte er und erklärte Terror zum "gemeinsamen Feind der Menschheit". Chinas Präsident Xi Jinping betonte, das Land lehne sämtliche Formen des Terrorismus ab und verurteile Terrorangriffe scharf.

Schüsse, Explosion und Feuer

Am Freitagabend waren mehrere bewaffnete Attentäter während eines Konzerts in die "Crocus City Hall" im nordwestlich gelegenen Moskauer Vorort Krasnogorsk eingedrungen und hatten dort das Feuer eröffnet. Nach Angaben der russischen Behörden wurden mindestens 133 Menschen getötet, am Abend gab das Notfallministerium die Namen von zunächst 29 identifizierten Opfern bekannt.

Laut der Nachrichtenagentur Interfax sollen zwei bis fünf Attentäter an dem Anschlag beteiligt gewesen sein und das Feuer auf die Gäste eröffnet haben. Zudem gab es eine Explosion, in der Konzerthalle brach ein Feuer aus, das sich auf die oberen Stockwerke und das Dach ausbreitete.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das Erste in der Sendung "Brennpunkt: Anschlag in Russland" am 23. März 2024 um 20:15 Uhr.